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Vor- und Frühgeschichte im Landkreis Böblingen

Jungsteinzeit in Höfingen - Einblicke in das Dorfleben vor 6000 Jahren

Quelle: Dorfleben vor 6000 Jahren – Funde aus den Ausgrabungen von Leonberg-Höfingen 1989 - 1995. Besucherinformation des Heimatmuseums Höfingen zur Ausstellung im Alten Rathaus Höfingen vom 8. 11. 1998 – 25. 4 1999.

Autorin: Ute Seidel

Bild: Das Grabungsgelände Höfingen-Stelze südlich der Ditzinger Straße. (Foto: Höfinger Heimatverein) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Ein jungsteinzeitliches Dorfes wird wiederentdeckt – kurze Chronologie
1920: Erster Eintrag der Siedlung auf einer Flurkarte im Landesdenkmalamt Stuttgart von der Hand des Denkmalpflegers Oskar Paret. Seither war die Fundstelle in Fachkreisen bekannt. Unter dem alten Gewann-Namen „Stelze“ fand sie als Siedlung der jungsteinzeitlichen „Schussenrieder Kultur“ wiederholt Eingang in die Literatur. ...

1989: Nördlich der Ditzinger Straße wird ein Industriegebiet erschlossen. Eine Bauunterbrechung kann nicht zugemutet werden.

1989-1993: Der Arbeitkreis des Museums für Vor- und Frühgeschichte Leonberg ergräbt bzw. beobachtet die Flurstücke zwischen Ditzinger- und Liebigstraße.

1993: Südlich der Ditzinger Straße wird ein Wohngebiet ausgewiesen. Das Landesdenkmalamt lässt eine Georadarmessung durchführen. Sie gibt Aufschluss über Ausdehnung und Dichte der vorgeschichtlichen Befunde. Um den Erhaltungszustand zu klären, wird eine Fläche von 30 x 6 m parallel zum Straßenverlauf geöffnet.

1993-1995: Planmäßige Untersuchung der Flurstücke südlich der Ditzinger Straße durch das LDA Stuttgart.

Die wichtigsten Ergebnisse der Höfinger Ausgrabung
1. Erstmals wurde ein Siedlungsareal mit den aufeinanderfolgenden Kulturgruppen Schwieberdingen und Schussenried in seiner Ausdehnung (ca. 13.500 m2) fast vollständig erfasst. Dokumentiert wurden ca. 1300 archäologische „Befunde“, d.h. Verfärbungen von Gruben, Pfostenlöchern und Gräbchen. – Zum Vergleich: Das bisher größte ergrabene Areal einer Schussenrieder Siedlung lag unter dem bekannten Hallstatthügel von Hochdorf mit einer geschätzten Siedlungsfläche von 11.00 m2.

2. Innerhalb der Siedlung fand man überraschender Weise 11 Bestattungen. ...

3. Am Ostrand der neolithischen Siedlung wurden hallstattzeitliche Gruben (8.–5. Jh. v. Chr.) ausgegraben, am Südostrand einige frühmittelalterliche (5.-8. Jh. n. Chr.). Der südlich der Siedlung vermutete römische Gutshof erwies sich als durch das zur Glems anschließende Wohngebiet überbaut.

4. Die Besiedlungsdauer der Höfinger Siedlung wurde von ca. 4300 – 3900 v. Chr. angesetzt, also rund 400 Jahre.1* ...

Archäologisch: „Jungneolithikum“
Archäologisch gesehen, gehört die Siedlung von Höfingen ins „Jungneolithikum“. „Neolithikum“ heißt auf griechisch „Jungsteinzeit“ und bezeichnet die früheste Epoche mit produzierender, bäuerlicher Wirtschaftsweise. „Jungneolithikum“, d.h. „Jungjungsteinzeit“, nennen die Archäologen einen späteren Abschnitt des Neolithikums. Mit anderen Worten: Die Bewohner des Höfinger Dorfes um 400 v. Chr. waren Bauern. Aber sie waren nicht die ersten. ...

Die Ausgrabungen von Höfingen: Müll als Forschungsgrundlage
Heute findet sich in der Regel nur das, was eingetieft wurde („Gruben“). Die ehemalige Oberfläche ist aberodiert. Die Siedlung von Höfingen lag auf „Mineralboden“. Im Gegensatz zu Feuchtböden haben sich hier von den baulichen Strukturen nur noch Erdverfärbungen erhalten. Diese Verfärbungen nennt man „Befunde“.

Spuren von Pfosten waren selten und ließen sich nicht zu Hausgrundrissen ergänzen. ... Die weitaus häufigsten Befunde waren Gruben: insgesamt rund 1300, meist kreisrund in den festen Löß geschnitten, mit Durchmessern von 1,1 m bis 1,3 m. Sie waren noch 0,04 – 0,6 m tief. Derartige Gruben werden als eine Art Erdkeller interpretiert.2* Unbrauchbar gewordene Gruben wurden in Müllgruben umfunktioniert. Aus solchen Gruben stammt der Großteil der Funde. ...

Unregelmäßige größere Gruben zeigen Stellen, an denen man den Lehm für den Hausverputz und die Töpferei holte. Die größte dieser Lehmentnahmestellen war 30 m breit und 3 m tief, mit einer Sohle aus zahlreichen ineinander eingetieften Gruben. Im Neolithikum lag hier eine Senke, deren toniges Material von den Siedlern genutzt wurde. In den Gruben der Senke lagen allein sechs der 11 in Höfingen entdeckten Bestattungen. ...

Es ist der Müll, der – wie im Fall der Höfinger Siedlung – für den Archäologen eine Grundlage der Forschung bildet. Die Gruben der Senke waren fast fundleer. Nur an einer Stelle lagen die Funde dicht an dicht. Ihr „abgerollter“ Zustand ließ darauf schließen, dass hier der Müllplatz des Dorfes war. ...

Bild: Jungsteinzeitliche Gefäße dreier Keramikgruppen aus Höfingen: Mitte: Michelsberg; rechts: Schussenried; links: Schwieberdingen. (Foto: Höfinger Heimatverein)

Die Höfinger Funde:
1. Keramik: Schwieberdingen – Schussenried - Michelsberg
„Kulturgruppen“ der Steinzeit werden vor allem anhand der wechselnden Keramikstile unterschieden. Eine solcherart definierte regionale Materialgruppe wird oft nach einem besonders charakteristischen Fundort benannt. ... In der Höfinger Siedlung sind drei im Neckarraum aufeinanderfolgende „Kulturgruppen“ vertreten: Sie beginnt mit „Schwieberdingen“, besteht während „Schussenried“ und endet mit „Michelsberg“. ... Die Besiedlung des Höfinger Steinzeitdorfes erstreckte sich also über rund 400 Jahre: 4300-3900 v. Chr.

Das Areal war mit Sicherheit nicht zur selben Zeit überbaut, d.h. nicht alle Vorratsgruben wurden zur selben Zeit angelegt, benutzt und verfüllt. ... Trägt man den Fundstoff der Gruben nach Keramikstilen geordnet in den Gesamtplan ein, zeigt sich, dass sich der Schwerpunkt der Siedlung tatsächlich von Südosten nach Westen verschoben hat. ...

Zwei Qualitätsarten von Gefäßen
Im Höfinger Dorf waren zwei Qualitätsarten von Gefäßen in Gebrauch: Der eine Teil ist etwas gröber gearbeitet. Er scheint für die Vorratshaltung und Zubereitung der Speisen dagewesen zu sein. Der andere Teil ist sehr fein gearbeitet. Diese Gefäße scheinen etwas mit Esskultur zu tun zu haben.

Bei der feinen Keramik ist die Oberfläche sorgfältig geglättet, fast poliert, die Magerung (Beimischung von Ton) fein, die Wandungen konstant 0,5-0,6 cm stark. Nur etwa 10% der Keramik war mit Mustern versehen. Verziert wurden nur fein gearbeitete Gefäße und nur ausschließlich Töpfe, Krüge, Flaschen und Amphoren.3* ... Ein Keramikgefäß hatte immerhin soviel Wert, dass in einigen Fällen versucht wurde, es wieder „zu retten“, indem man es mit Birkenpech klebte.4*

2. Werkzeuge
Als Material standen Holz, Leder, Textilfasern, Knochen, Geweih, Stein und Feuerstein zur Verfügung. Erhalten haben sich im Lößboden Höfingens verhältnismäßig viele Werkzeuge aus Geweih und Knochen (insg. 318). ... Geräte aus geschliffenem Stein sind unter den Funden verhältnismäßig selten. Da Steingeräte, wenn sie beschädigt waren, noch einen gewissen Wert hatten, wurden sie nicht einfach entsorgt wie Geräte aus Knochen. ... Feuerstein (Silex) war für spitze und schneidende Geräte unentbehrlich. Der in Höfingen verwendete Feuerstein stammt fast ausschließlich von der Schwäbischen Alb - heller Jurahornstein vom Typ „Wittlingen“. ... Das bedeutet die nächstgelegenen Vorkommen wurden genutzt.5*

Bild: Neben Keramik und Werkzeugfunden gehören v.a. die strahlenartig ritzverzierten „Knöpfe“ aus Kalkstein zu den Besonderheiten der Höfinger Grabung. (Foto: Höfinger Heimatverein)

3. Schmuck
In Höfingen wurden Anhänger und Perlen aus Stein, Zahn, Knochen, selten Muschel gefunden. .... All diese Perlen und Anhänger wurden sowohl auf die Kleidung aufgenäht wie auch aufgefädelt getragen. ... Eine Kette aus fünf Eckzähnen von Haushunden trug das 10-12 jährige Kind aus Grab 5 im Brustbereich. ...

Vor der Höfinger Ausgrabung im Neckarraum praktisch unbekannt waren strahlenartig ritzverzierte „Knöpfe“ aus Kalkstein. Nachweislich hergestellt wurden solche Knöpfe in der Schussenrieder Feuchtbodensiedlung Ehrenstein bei Ulm. ...

4. Hausbau
Obwohl sich in Höfingen keine Hausgrundrisse erhalten haben, fällt auf, dass immer wieder Reihungen von Vorratsgruben in NW-SO-Richtung verlaufen. Dies erinnert an bekannte Siedlungsgrundrisse von Sindelfingen-Hinterweil oder Creglingen-Frauental sowie Fechtbodenstationen.

Die Häuser von Höfingen waren zumindest in eigenen Details denen auf Feuchtboden verwandt. Lehmbrocken vom Wandverstrich, die durch ein Schadensfeuer verziegelten, zeigen auf der Rückseite Abdrücke der Wandkonstruktion: Spaltbretter, laubtragende Äste, Rutengeflecht, Stangen etc. Fingergetupfte Lehmwülste gehörten wohl zum Rand von Öfen. Zusammengesetzt werden konnte eine weiß gekalkte Backplatte, deren Unterseite Steinabdrücke zeigt. ...

1

Dieses Datum wurde nicht in Höfingen gewonnen, sondern über Siedlungen mit vergleichbaren Funden, für die absolute naturwissenschaftliche Datierungen vorliegen. Die Datierung beruht also auf einer Kombination von archäologisch-stilkritischen mit naturwissenschaftlichen Datierungsmethoden. Die drei wichtigsten archäologischen Datierungsmethoden sind: die „Typologische Methode“ (Erstellung von Entwicklungsreihen, Stratigrafie), die „C-14-Methode“ (Messung der verbliebenen radioaktiven Kohlenstoffisotope-14) und die „Dentrochronologie“ (Baumringdatierung).

2

Dass sie als solche funktionieren, wurde im Experiment nachgewiesen. Getreide ließ sich unter Luftabschluss bis zu zwei Jahren aufbewahren. Dafür verschloss man die Grube oben dicht. Die an der feuchten Wand befindlichen Körner keimten aus und bildeten einen Filz, der die Sauerstoffzufuhr soweit drosselte, dass die innenliegenden Körner am Keimen gehindert wurden.

3

Die Gefäße wurden in Wulsttechnik, manchmal – v.a. am Boden - in Plattentechnik aufgebaut. Die Töpferscheibe war unbekannt. Nachdem das Gefäß ausgetrocknet war, wurde seine Oberfläche mithilfe eines Kiesels verdichtet, oft poliert. Muster wurden mit einem spitzen Gegenstand angebracht. Der Brand erfolgte in einer Grube. Durch den vorherrschenden Luftabschluss erhielten die Gefäße ihren schwarzbraunen Farbton. Durch erneute Erhitzung unter Luftzufuhr wurden sie rötlich.

4

Aus frischer Birkenrinde gekochtes Birkenpech diente als Universalkleber der Vorgeschichte.

5

Ein Unikat ist der Sicheleinsatz aus Plattensilex, wie er auf der fränkischen Alb vorkommt. – Ob der Feuerstein direkt oder über eine Form des Tausches beschafft wurde, ist nicht bekannt.

Der Text wurde gekürzt

Wir danken dem Höfinger Heimatverein für die Überlassung der Broschüre und der Fotos.

Leonberg-Museen
Denkmalpflege Baden-Württemberg

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