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Heinrich Schickhardt als Gartenarchitekt

Der Pomeranzengarten in Leonberg

Quelle: Heinrich Schickardt – Baumeister der Renaissance. Leben und Werk des Architekten, Ingenieurs und Städteplaners, hrsg. von Sönke Lorenz und Wilfried Setzler, Leinfelden-Echterdingen 1999, S. 202 -209

Autor: Alfons Elfgang
Der Pomeranzengarten in Leonberg ist einer der wenigen erhaltenen Gärten aus der Zeit der Renaissance. Heinrich Schickhardt, ein nahezu mit allen Sparten des Bauwesens vertrauter Baumeister, hinterläßt uns mit ihm ein Glanzstück seiner Gestaltungskunst.
Schloss mit Pomeranzengarten

Bild rechts: Südseite des Leonberger Schlosses mit Altane und Pomeranzengarten

Der Garten wurde 1609 für die Witwe Herzog Friedrichs von Württemberg, Sibylla (1564-1614), geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst-Bernburg, gebaut. Sie besaß Schlösser in Reichenweiler (Elsaß) und Beilstein, die als zukünftigen Witwensitze in Erwägung gezogen wurden, aber ihr ältester Sohn Herzog Johann Friedrich entsprach ihrem Wunsch und ließ Schloß und Garten in Leonberg für sie herrichten.

Bei Schickhardts Beauftragung muß sich das Schloßhanggelände in verwildertem Zustand befunden haben, denn er vermerkt: "zu Leonberg in ein Wildtnus, da zuvor Dorn und Heckhen gestanden, den fürstlichen Lustgarten sampt Pomerantzen Haus und Brunnen Casten gebaut".

Über die von Schickhardt geplanten und ausgeführten Arbeiten an Schloß und Garten sind wir archivalisch gut informiert. Das Schloß, um 1500 erstmals urkundlich erwähnt, wurde 1560-1570 von Silvester Berwart d.J. neu gebaut. Es ist ein schmuckloser, auf die Hangkante platzierter Giebelbau mit gewaltigen ungebrochenen Dächern. (...)

Idealplan

Bild links: Schickardts Idealplan des Pomeranzengartens von 1609. (Abb: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, N 220, A 72, 4) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Schickardts Idealplan von 1609
Für den Lustgarten legt Schickhardt 1609 einen Entwurf zur Genehmigung vor. Dieser Idealplan zeigt einen quer vor dem Schloß liegenden und axial auf dieses bezogenen Garten, umgeben von einem breiten, balustradengesäumten Weg. Eine mächtige, auf das Schloß bezogene Mittelachse mit zwei an den Ecken durch Obelisken betonte Fischbecken teilt den Gartenraum in zwei Parterrekompartimente. Schloßseits endet die Achse in einem Rundbogen-Durchgang; talseits führt sie zu einer Kanzel, die durch eine zweiläufigen Treppenanlage den Garten mit der darunterliegenden Grotte verbindet.

Vier kleine Eckpavillons markieren die Grenzen des Gartenraumes. Die Parterrekompartimente, zwei große Quadrate, werden in sich durch je ein Achsenkreuz gegliedert. Dessen Wege durchstoßen die umgebenden Balustraden und bilden so torartige Durchgänge. Die Mitte der beiden Achsenkreuze ist durch je einen figurbekrönten Brunnen akzentuiert. Die so entstandenen acht Einzelkompartimente weisen jeweils wiederum eine kreuzförmige Gliederung auf und enthalten kleine geometrisch gegliederte Einzelbeete.

Bild rechts: Blick auf die beiden rechteckigen Gartenkompartimente und den Mittelbrunnen. (Bild: Landesmedienzentrum BW lmz30822)

Der ausgeführte Entwurf
Der Idealplan scheint lediglich nach einer groben Einschätzung der Höhenverhältnisse erstellt worden zu sein. Denn zur Ausführung kam eine an die Geländeverhältnisse angepaßte Variante, die den Höhenunterschied nicht durch eine, sondern durch zwei Terrassen überwand. Dazu baute Schickhardt auf der gartenseitigen Schloßfassade, direkt auf der noch heute dort verlaufenden Stadtmauer, eine wohl auf italienische Anregungen zurückgehende, auf Arkaden gestützte Altane.

Unterhalb der Stadtmauer ließ er wegen der Steilheit des Geländes eine niedrige Mauer errichten. Auf der so geschaffenen oberen Terrasse baut er 1609 ein Pomeranzenhaus, das bereits 1611 erneuert wurde. Hier wurden Feigen, Zitronen, Aloen und andere frostempfindliche Pflanzen überwintert, vor allem aber Pomeranzen, die dem Garten auch den Namen gaben.

Unter geschickter Ausnutzung des steilen Schloßhanggeländes und unter Verwendung vorhandener Mauerteile alter Terrassen, errichtet er die weitläufige, von hohen Mauern gestützte Gartenterrasse, die das Parterre aufnahm. Wie ein Untersuchungsbefund ergab, war die Brüstung der Terrassenmauer nur fußhoch ausgebildet.

Merianstich

Bild links: Das Leonberger Schloss mit Altane, Terrassengarten und Pomeranzenhaus auf dem Kupferstich von Matthäus Merian, 1643. (Bild: StadtA Leonberg) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Eine zweiarmige Treppe führt hinunter zum Obstgarten. Unter den beiden Treppenläufen waren drei Grottennischen vorgesehen, wovon nur die mittlere zur Ausführung kam. Ob die anspruchsvolle „moderne“ Gestaltung auch auf diesen Bereich ausgedehnt werden sollte ist nicht sicher festzustellen, da Sibylla bereits 1614 starb und die Arbeiten vielleicht nie beendet wurden. So verbleibt der obere Bereich - vergleicht man die Anlage mit italienischen Terrassengärten - ohne ästhetischen und organischen Bezug mit dem Abhang darunter.

Durch die Aufteilung in zwei Terrassen wird der Gartenraum - im Gegensatz zum Idealplan - neu dimensioniert. Den konstruktiv bedingten Verlust an Raumbreite glich Schickhardt aus, indem er die Achsen entsprechend ihrer Bedeutung proportional verschmälert. Zwei gleich große Kompartimente blieben erhalten, wobei diese jedoch vom Quadrat zum Rechteck gedehnt wurden.

Zeichnung Brunnensäule

Bild rechts: Entwurf einer Brunnensäule für den Leonberger Pomeranzengarten, Handzeichnung von Heinrich Schickardt. (Abb.: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, N 220, A 164) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Die innere Gliederung des Parterrebereichs mit den rahmenden Eckpavillons gestaltete Schickhardt weitgehend unverändert in der Art, wie der Idealplan sie wiedergibt. Mit den steingefaßten Hochbeeten verblieb er in den tradierten Gestaltungsformen seiner Zeit. Die Parterrekompartimente erhielten statt der Steinbalustereinfassung auf Weisung der Herzogin ein hölzernes Gitter. In der Mittelachse ließ er anstelle der beiden Wasserbecken einen achteckigen Brunnen mit einem Obelisken errichten, der vom Leonberger Steinmetz Hans Josenhans ausgeführt wurde.

Westlich davon, auf dem Entwurf nicht abgebildet, war ein Nutzgarten angelegt. Mit dieser Einteilung verblieb Schickhardt in der bis ins 18. Jahrhundert hinein gültigen Dreiteilung eines fürstlichen Gartens, nämlich dem Lust-, Obst- und Nutzgarten.

Brunnen

Bild links: Achteckiger Mittelbrunnen mit Obelisk im Pomeranzengarten

Der italienische Einfluß
Der Pomeranzengarten unterscheidet sich jedoch in der Art seiner Anlage von den Gestaltungsformen deutscher Gärten seiner Zeit und auch von jenen, die Schickhardt selbst angelegt hatte. Diese Gärten schlossen, der mittelalterlichen Tradition folgend, Ihre Umgebung aus. Ihre nach innen orientierte Gestaltung wurde von einer Vielzahl zentral oder additiv zueinander geordneter gestalterischer Beet- und Bauformen bestimmt. Während in Italien bereits Schloß, Garten und Landschaft zu einem Gesamtkunstwerk komponiert wurden. Vor diesem Hintergrund erscheint die „moderne“ Form des Pomeranzengartens besonders bemerkenswert.

Von der Gartenkunst Italiens beeinflußt, ordnet Schickhardt tradierte Gestaltungselemente wie Beetarten und -formen, Pavillons, Brunnen und Geländer nicht mehr additiv, sondern sucht mittels einer übergreifenden, rhythmischen Gliederung ein einheitliches Gesamtbild. Gleichfalls vom Gestaltungsrepertoire der italienischen Gartenkunst des 16. Jahrhunderts inspiriert, in der das Ungewöhnliche, das Staunenswerte und Phantastische motivbestimmend wurde, ist die Art und Weise, wie er den Garten kontrastreich der Landschaft gegenüberstellt. Italienisch ist das hoch über der Landschaft thronende, Ansehen und Macht des Herrschers manifestierende Bild von Schloß und Garten, das zum einen aus der Ferne, zum anderen aus dem Garten heraus verschiedene Seh- und Gefühlswerte vermitteln soll.

Von außen gesehen, wirkt der Garten mit seinen vier fortifikatorisch anmutenden Eckpavillons auf den Betrachter im manieristischen Sinne wie eine Festung. Dort liegt der Garten, allseits frei, jedoch „wohl geschützt“ gegen die ungeordnete Natur, als irdisches Paradies mit seiner durch Kunst überhöhten Natur. Vom Garten her erlebt, „strömt“ die umgebende Landschaft schwellenfrei, den vorgenannten Kontrast deutlich hervorhebend, in den Garten hinein. Der durch die niedrige Brüstung hervorgerufene, scheinbar schrankenlose Übergang erzeugt gleichermaßen ein Gefühl des staunenden Schwebens, wie auch des schaudernden Erschreckens vor der Tiefe. Dies kann somit als ein typisches, emotionsvermittelndes, manieristisches Element gewertet werden. Ob Schickhardt beim Bau der Terrasse in Leonberg diese manieristische Wirkungsweise von Landschaftsbetrachtung und sinnlichem Erleben bewußt übernahm oder von Herzog Johann Friedrich beeinflußt war, der äußerst kunstverständig war, ist nicht sicher zu bestimmen. Wir finden Vergleichbares in keinem anderen seiner Gärten.

Herzogin Sybilla

Bild rechts: Sybilla von Anhalt (1564-1614), Witwe Herzog Friedrichs I. (Foto: Staatl. Schlösser und Gärten/Oberfinanzdirektion Stuttgart)

Das Schloß als Witwensitz
Der Garten zeichnete sich durch große Pflanzenvielfalt aus. Im Gegensatz zu späteren Barockgärten, in denen die Einzelpflanzen ausschließlich zugunsten einer Gesamtwirkung zusammengefaßt wurden, war es im Renaissancegarten möglich, sozusagen von Blume zu Blumen zu gehen. Schönheit, Seltenheit und auch Verwendbarkeit als Duft-, Gewürz- und Heilpflanze bestimmten die Auswahl. (...)

In Leonberg war die eigentliche „Gärtnerin“ die Herzoginwitwe selbst. Als ausgezeichnete Pflanzenkennerin experimentierte sie zusammen mit ihrer Freundin Helena Magenbuch-Osiander mit aus Pflanzen gewonnenen Arzneien. Die Bepflanzung der Parterrebeete wird sie deshalb im wesentlichen selbst bestimmt haben. (...) Eine Inschrift auf dem Postament des Mittelbrunnens bewahrt den Namen dieser wegen ihrer Ehe so oft unglücklichen Herzogin, die in ihrem Garten Trost suchte.

Nach dem Tode der Herzogin 1614 war das Schloß mehrmals Witwensitz. Ab 1743 endet die herrschaftliche Nutzung. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Schloß Sitz des Kameralamtes, später des Finanzamtes und Amtsgerichts. Der Garten wurde von den jeweiligen Amtsinhabern - in seinen Grundstrukturen weitgehend unverändert - als Deputatsgarten genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde diese Nutzung aufgegeben - der Garten verwilderte, verfiel und geriet in Vergessenheit.

1980 wurde der Garten auf Initiative und unter Leitung des Verfassers nach einer umfassenden wissenschaftlichen Forschung und Wertung der Archivalien und des zum Teil noch vorhandenen Bestandes neu aufgebaut. (...)

Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Im Jahr 2009 feiert die Stadt Leonberg das 400-jährige Jubiläum des Pomeranzengartens mit einem umfangreichen Festprogramm. In diesem Zusammenhang wurden Restaurierungs- und Renovierungsarbeiten, sowie eine Neubepflanzung mit seltenen Duft-, Gewürz- und Heilpflanzen durchgeführt.

Alfons Elfgang: Rekonstruktion des Schloßgartens Leonberg, in: Referate des 1. Ludwigsburger Seminars „Sanierung und Rekonstruktion historischer Gärten“ vom 26.-27. September 1978
Alfons Elfgang, Ehrenfried Kluckert: Schickhardts Leonberger Pomeranzengarten und die Gartenbaukunst der Renaissance. Bierlingen 1988

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