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Magstadt: 260 Vergewaltigungen in der Nacht vom 20. auf 21. April 1945

Die Marokkaner kannten keine Gnade

Quelle: Sindelfinger Zeitung vom 23. April 2005-07-11

Autor: : Karlheinz Reichert
Magstadt

Bild: Einer der schwersten Luftangriffe auf Anklagen und Städte im Großraum Stuttgart traf am 10. September 1944 Magstadt. 56 Menschen starben im Bombenhagel, 129 Gebäude wurden total zerstört, 343 schwer beschädigt. Damit war für Magstadt der Schrecken des Krieges aber noch lange nicht vorbei. Beim Einmarsch der Franzosen wurden hier besonders viele Frauen vergewaltigt. (Foto aus: Fritz Heimberger, 800 Jahre Magstadt, Stuttgart 1997, S. 190) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

Als die Soldaten des vierten marokkanischen Regiments am Abend des 20. April 1945 nach Magstadt hinein stürmten, betrachteten sie Frauen und Mädchen als persönliche Beute. "Sie benahmen sich teils schlimmer als Tiere", schreibt Pfarrer Richard Tramer in seinem Tagebuch. In dem damals kleinen Ort wurden 260 Vergewaltigungen ärztlich festgestellt.

Die Marokkaner plünderten in Schafhausen die Schnapsbrennerei und fielen anschließend in Magstadt über alles her, was einen Rock trug. Sie verschonten weder Konfirmandinnen noch die älteste Frau. Auch das Pfarrhaus, in das viele geflüchtet waren, bot da keinen Schutz. "So gehört diese Nacht, zusammen mit den Luftangriffen, wohl zum Furchtbarsten, das die Gemeinde je hat erdulden müssen", schreibt der Historiker Fitz Heimberger im Magstadter Heimatbuch. Am 10. September 1944 waren im Bombenhagel 56 Menschen ums Leben gekommen.

Das Ziel war Stuttgart
Ende März 1945 überschritten Amerikaner und Franzosen den Rhein und drangen nach Süden vor, am Rhein entlang die erste französische Armee unter dem Oberbefehl von General Jean Joseph Marie de Lattre de Tassigny. Deren erstes Armeekorps zog von Straßburg nach Freudenstadt, das zweite von Speyer über Karlsruhe nach Pforzheim. Die beiden Korps hatten ein gemeinsames Ziel: Stuttgart. Dort wollten sie das 64. deutsche Armeekorps einschließen und vernichten.

Zum zweiten französischen Armeekorps gehörte auch die mit marokkanischen Truppen verstärkte dritte algerische Infanteriedivision. Ein Teil dieser war die Kampfgruppe Leblanc mit dem ersten und vierten marokkanischen Regiment. Das erste Regiment stieß von Bad Liebenzell-Schellbronn-Steinegg über Weil der Stadt und Magstadt nach Vaihingen vor, das vierte über Simmozheim und Schafhausen nach Magstadt und von dort weiter nach Sindelfingen und Böblingen. Dieses vierte Regiment trieb am 20. April 1945 sein Unwesen in Magstadt.

Die NS-Kreisleitung wollte Magstadt, als die Front näher kam, evakuieren. Die Magstadter aber weigerten sich, ihr Dorf zu verlassen. So versuchte die Kreisleitung mit hektisch errichteten Panzersperren, den Feind aufzuhalten. Beim Schafhaus, in der Weilemer Straße beim Haus von Otto Mundinger, in der Alten Stuttgarter Straße bei Waldmeister Kreß, in der Maichinger Straße und in der Bahnhofstraße beim Haus Gommel wurden Eichenstämme in den Boden gerammt.

Panzersperren nachts ausgegraben
Die Bevölkerung war von diesem Schutz nicht begeistert, den Widerstand bedeutete Kampf, Tod und Zerstörung. Vor allem Frauen und Mädchen machten sich daran, die Pfähle wieder auszugraben. Wenn die Polizei kam, verschwanden alle in die umliegenden Höfe. Wegen der vielen Aufpasser konnte teilweise nur nachts gearbeitet werden.

Da die Panzersperren auch in anderen Orten beseitigt wurden, zerstörten die deutschen Truppen die Straßen zwischen den Städten und Gemeinden, vor allem in dem sie Brücken sprengten. So war auch der Weg von Renningen über Warmbronn nach Stuttgart unpassierbar. Die Folge: Alles drängte sich durch Magstadt. "Es war ein Bild des Jammers, wenn man die eigenen Truppen so auf der Flucht sehen musste, gehetzt und getrieben. Mensch und Tier konnten kaum noch! Schnell wurde im Backhaus ein Stück Kuchen oder Brot in Empfang genommen, ein Schluck Wasser am Brunnen, an der Kirche, im Vorbeilaufen getrunken", beschreibt Pfarrer Tramer die Szenerie.

Schreinerei Stähle niedergebrannt
Am Nachmittag des 20. April wurde Magstadt aus Richtung Weil der Stadt und Schafhausen von der französischen Artillerie beschossen, zum Teil mit Phosphorgranaten. Diese setzten die Anwesen von Gottlob Schneider (Brühlstraße) und Hartenbauer (am Friedhof) in Brand. Wenigstens konnten da die Wohnhäuser gerettet werden. Bei Schreinermeister Karl Stähle gingen dagegen Wohnhaus, Werkstatt und Holzlager in Flammen auf, zumal die Löscharbeiten abgebrochen werden mussten, weil der Feind einmarschierte.

Dabei fuhren die Panzer voraus. Dahinter folgten französische und marokkanische Truppen. Der gelähmte Christian Schock lehnte sich in der Maichinger Straße zu weit aus dem Fenster und wurde erschossen. Dann folgte die Schreckensnacht. Außerdem brannten gegen Morgen die große Mälzerei und die Häuser von Heinz Schroth und Gottlob Hering aus, weil niemand außer Haus durfte, um zu löschen.

Einen Aidlinger versteckt
Da war es schon mutig, noch einen Aidlinger zu verstecken. Eugen Bauer sollte mit zwei Pferden eines der in Aidlingen gelagerten Artilleriegeschütze, die noch in Maxau (bei Karlsruhe) eingesetzt werden sollten, nach Stuttgart bringen. In einem unbeobachteten Moment spannte er im Vaihinger Wald die beiden Kaltblüter aus, überließ das Geschütz auf dem steilen Weg sich selbst und schlug sich mit den Tieren in die Büsche und durch bis Magstadt, wo man ihm erklärte, dass er nicht weiterkönne, da "schon alles voller Franzosen" sei. Am nächsten Tag erreichte der 43-Jährige wohlbehalten seinen Heimatort.

An diesem 2I.April wurde Pfarrer Tramer beim französischen Oberst vorstellig. Sein Protest hatte Erfolg. Der Colonel gewährte in der Nacht auf den 22. April den Magstadter Frauen und Mädchen in einem bewachten Bunker Unterschlupf.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

Zu diesem Thema finden Sie in zeitreise-bb auch die Dokumente:
Befreiung an Hitlers letztem Geburtstag - Kriegsende im Landkreis Böblingen
Die Befreier kamen als Freier - Vergewaltigungen beim Einmarsch 1945

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