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Sindelfingen: Im Jahre 1900 wird die neue Web- und Zeichenschule eröffnet

Moderner Bau war umstritten

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von100 Jahren. Röhm Verlag Sindelfingen 1999, S. 9

Bild: Der markante Backsteinbau der neuen Webschule wurde im Jahre 1900 eröffnet

Umstritten soll das Gebäude der Webschule gewesen sein, das im Jahre 1900 seine Pforten öffnete: mit Jugendstilanklängen und Formen des Historismus wurde nämlich ein Baustil nach Sindelfingen gebracht, der hier völlig neu war. Schließlich präsentierte sich Sindelfingen im Jahre 1900 noch als eine Stadt, in der kaum „moderne" Gebäude zu finden waren; dies sollte sich erst in der darauf folgenden Zeit ändern.

Aber möglicherweise entschied man sich für diese „gewagte" Form, weil mit diesem Gebäude schließlich ein hoher Anspruch einherging. Man schuf schließlich eine „Web- und Zeichenschule", ein neues Domizil, und mancher, der in der Schule arbeitete oder dort gelernt hatte, nannte sich dementsprechend „Dessinateur". Es wurde viel Wert auf eine solide künstlerische Ausbildung gelegt. Diese war notwendig, weil es um den eigentlichen Wert, den eigentlichen Schatz des Sindelfinger Hauptgewerbes ging: möglichst interessant gestaltete Entwürfe für die in ganz Deutschland berühmte Sindelfinger Jacquard-Weberei.

Bild: Schräglaufende Fenster am Treppenhaus der Sindelfinger Webschule, die mittlerweile das Sindelfinger Webereimuseum beherbergt

Dafür hatte es die Stadt auf sich genommen, für ein Schulgebäude tief in die Tasche zu greifen: Von den 28.000 Mark Baukosten musste die Hälfte aus dem Stadtsäckel bezahlt werden und die Personalkosten lasteten zum Teil auch auf den Schultern der sparsamen Sindelfinger. Aber diese Tatsache zeigt uns, welche enorme Bedeutung der Schule zugewiesen wurde.

Schon seit 1869 kümmerte man sich in Sindelfingen auf eine Art um die berufliche Ausbildung der Weber, wie dies in Württemberg nur noch in der Stadt der großen Textilindustrie, Reutlingen, zu finden war. Einzigartig waren die Anstrengungen, das Niveau der vielen hundert Sindelfinger Weber zu heben; deren Ausbildung wurde als „immer dringender geboten" bezeichnet.

Schließlich waren es um 1880 herum 240 selbstständige Webmeister in Sindelfinger Mauern, die an ihren hochkomplizierten Jacquard-Webstühlen Stoffe zum Beispiel für die renommierte Stuttgarter Firma C. F. Faber webten: zum Teil Stoffe, deren gewagte Muster von berühmten Künstlern entworfen waren. Und schließlich brauchten auch die großen, renommierten Sindelfinger Jacquardwebereien besonders gute Fachkräfte, um in einer knallharten, internationalen Konkurrenzsituation bestehen zu können.

Mit einer eigenen, modernen Webschule, die wenige Jahre später auch einen Maschinensaal für mechanische Maschinen erhielt, konnte Sindelfingen nun überregional auf das hohe Niveau seiner Weber hinweisen. Schließlich inserierte man in ganz Deutschland, um weitere Textilbetriebe zur Übersiedlung nach Sindelfingen zu bewegen. Mit Wilhelm Reuff erhielt diese Schule 1903 dann auch einen äußerst agilen und kompetenten Leiter. Die Ansiedlung der Firma Daimler veränderte im Kriegsjahr 1915 die Lage völlig. Ab jetzt hatte die Webschule damit zu kämpfen, dass die Weberei nicht mehr Sindelfingens Vorzeigebranche war. Trotzdem schaffte sie es, wenn auch in stetigem Auf und Ab, ihre Aufgabe bis 1976 zu erfüllen, als die Schule in das neue Sindelfinger Berufsschulzentrum zog.

Nun beherbergte das Gebäude als „Haus der Handweberei" einen Verein, der sich die Förderung der Handweberei zum Ziel gesetzt hat - bis heute. 1999 wird in einem Teil der Räume das neue Sindelfinger Weberei-Museum zusätzlich einziehen.

Damit hat das Gebäude gegenüber dem Kaufhaus Domo wieder eine besonders wichtige Funktion in unserer Stadt.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

Links:
Haus der Handweberei
Weberei-Museum Sindelfingen
Stadt Sindelfingen

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