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Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen

Teil 1: Von der Werksgründung bis zum Ende des 1. Weltkriegs

Quelle: Sindelfinger Fundstücke - Von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Festschrift für Eugen Schempp, herausgegeben vom Stadtarchiv Sindelfingen, Sindelfingen 1991 [Stadtarchiv Sindelfingen Veröffentlichungen 1], S. 101 – 103

Autor: Horst Zecha
Die Begriffe „Sindelfingen" und „Daimler-Benz" sind heute aufs engste miteinander verbunden. Sindelfingen ist auch im Ausland als „Mercedes-Stadt" bekannt. Weniger bekannt ist vielen sicherlich, dass das Zustandekommen dieser mittlerweile historischen Verbindung vor 75 Jahren auf kriegerische Ereignisse zurückzuführen ist. Die Geschichte des Sindelfinger Daimler-Werkes ist nämlich eng mit der Geschichte des 1. Weltkrieges verknüpft.

Bild: Beginn der Bauarbeiten für das Daimler-Werk gegenüber dem Sindelfinger Bahnhof im Jahre 1915. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Mit der zunehmenden Bedeutung der Flugzeuge als Kriegswaffe seit 1914 ergab sich für die militärische Führung schon sehr bald die Notwendigkeit, sich nach geeignetem Gelände für neue Militärflughäfen umzusehen. Als ein Standort für solch einen neuen Flugplatz war ... auch die Ebene zwischen Böblingen und Sindelfingen vorgesehen worden. Von dieser Planung unterrichtete Garnisonsverwaltungsdirektor Baur aus Stuttgart am 5. Juni 1915 den Sindelfinger Stadtschultheißen Hörmann. Das Flugplatzgelände sollte etwa zur Hälfte auf Sindelfinger Gemarkung liegen. In der Gemeinderatssitzung vom 7. Juni informierte Hörmann den Gemeinderat über dieses Vorhaben. Es kam zum Ausdruck, dass man sich schon aus vaterländischem Pflichtgefühl dem Ansinnen der Militärverwaltung nicht verschließen wolle und dass die Abgabe der Wiesengrundstücke auch keinen großen wirtschaftlichen Verlust für die Stadt bedeute. Allerdings erwartete ... [man], dass Sindelfingen dafür bei der Anlage gewerblicher oder militärischer Einrichtungen berücksichtigt werde. Dieser Wunsch, ..., war aus Sindelfinger Sicht sehr verständlich, war man doch bei der industriellen Entwicklung gegenüber Böblingen aus verschiedenen Gründen ins Hintertreffen geraten.

Bild: Flugzeugbau in der Montagehalle der Daimler-Motoren-Gesellschaft Sindelfingen. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Ein „Unternehmen mit Weltgeltung“ siedelt sich an
Das in der Gemeinderatssitzung besprochene Anliegen trug Stadtschultheiß Hörmann in einem Schreiben vom 22. Juni 1915 der königlichen Garnisonsverwaltung vor. Die weitere Entwicklung vollzog sich nun in atemberaubender Geschwindigkeit. Bereits am 28. Juni, also sechs Tage nach dem Schreiben Hörmanns, übersandte der oben erwähnte Garnisonsverwaltungsdirektor Baur einen Vertragsentwurf für die Ansiedlung einer Flugzeugfabrik der Daimler-Motoren-Gesellschaft auf Sindelfinger Gemarkung. ...

Der von der Militärverwaltung vorgeschlagene Vertragsentwurf wurde von der Stadt mit geringfügigen Änderungen akzeptiert, und am 6. Juli 1915, also gerade zwei Wochen, nachdem Hörmann die Angelegenheit in die Wege geleitet hatte, kam es zum Vertragsabschluß zwischen der Daimler-Motoren-Gesellschaft und der Stadt Sindelfingen. Am 9. Juli billigte der Sindelfinger Gemeinderat einstimmig das Vertragswerk und brachte vor allem seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Ansiedlung eines „Unternehmens mit Weltgeltung" gelungen sei.

Für die DMG wurde der Vertragsabschluß durch die günstigen Bedingungen, die die Stadt anbot, erleichtert. So garantierte Sindelfingen dem Unternehmen beispielsweise einen Grundstückspreis von 38 Pfennig pro Quadratmeter - ein auch für damalige Zeit sehr günstiges Angebot. Die Stadt verpflichtete sich, den Grundstückskauf zu übernehmen und eventuelle Preisdifferenzen aus der eigenen Kasse zu bezahlen. ... Wegen des schleppenden Fortgangs der Grundstücksverhandlungen drohte die DMG ganz unverhohlen damit, sich in anderen Orten nach geeigneten Standorten umzusehen. Schließlich gelang es aber doch noch, die Grundstückskäufe rechtzeitig abzuschließen. Die Mehrkosten für die Stadt beliefen sich auf 76.000 Mark.

Bild: In Sindelfingen gefertigtes Daimler-Flugzeug. (Foto: Mercedes-Benz Classic)

Mehr Beschäftigte als Einwohner
Im Oktober 1915 konnte mit den ersten Baumaßnahmen begonnen werden. Im Frühjahr 1917 lief die Fertigung an, die sich allerdings aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitern und Rohstoffen schwierig gestaltete. Hergestellt wurden Kampfflugzeuge, die überwiegend in Lizenz für andere Firmen gefertigt wurden, es gab aber auch Eigenkonstruktionen. Die Anzahl der tatsächlich bis Kriegsende in Sindelfingen gefertigten Flugzeuge ... dürfte zwischen 250 und 300 liegen. ...

Die Beschäftigtenzahlen schnellten nach der Aufnahme der Flugzeugproduktion 1917 sprunghaft in die Höhe. Am 1. Januar 1917 bestand die Belegschaft noch aus 227 Personen, am 1. Januar 1918 waren es 1900, und Anfang November 1918 erreichte die Belegschaft mit etwa 5600 Arbeitern und Angestellten, davon etwa 1000 Frauen, ihren Höchststand und überstieg damit auch die Gesamteinwohnerzahl Sindelfingens.

Hunger und Wohnungsnot im Jahre 1918
Dass diese Personalexpansion in einem Zeitraum von knapp zwei Jahren die Werksleitung, aber vor allem auch die Stadt vor riesige Unterbringungs- und Verpflegungsprobleme stellte, ist klar. Die Unterbringungsmöglichkeiten in Privatwohnungen und Gasthäusern wurden bis zum äußersten ausgeschöpft, außerdem viele Barackenunterkünfte erstellt. Wie drastisch sich gegen Kriegsende auch die Ernährungslage zuspitzte, macht ein Bericht der Daimler-Werksleitung vom August 1918 deutlich: „(...) Hier bekommt man ja tageweise nicht einmal Brot, ein Mißstand, der sicher bis jetzt in ganz Württemberg noch in keiner Stadt außer hier vorgekommen ist. (...) ..., allein, die Gesamtstimmung unserer Arbeiterschaft ist derart, daß wir uns aufs Schlimmste gefaßt machen müssen, besonders, wenn sich die Vorfälle wiederholen sollten, daß unsere Küche ohne Kartoffeln und ganz Sindelfingen tagelang ohne Brot ist." ...

Der Text wurde gekürzt.

Mir freundlicher Genehmigung des Autors.

Für die Abbildungsgenehmigung der Fotos bedanken wir uns beim Mercedes-Benz-Archiv in Stuttgart-Untertürkheim.

Der Autor, Horst Zecha, ist Historiker und Kulturamtsleiter der Stadt Sindelfingen.

Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen
Teil 2: Von der November-Revolution bis zum Ende der Weimarer Republik (1918-1933)
Teil 3: Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit - Das Daimler-Werk im 3. Reich (1933-1945)
Teil 4: Neubeginn nach 1945 (1945-1991)


Eine ungekürzte Text-Version des Aufsatzes von Horst Zecha können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Quellen- und Literaturangaben

Stadt Sindelfingen
Daimler AG
Mercedes-Benz-Museum Stuttgart

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