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Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen

Teil 2: Von der November-Revolution bis zum Ende der Weimarer Republik

Quelle: Sindelfinger Fundstücke - Von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Festschrift für Eugen Schempp, herausgegeben vom Stadtarchiv Sindelfingen, Sindelfingen 1991 [Stadtarchiv Sindelfingen Veröffentlichungen 1], S. 101 – 113

Autor: Horst Zecha

Bild: Das Sindelfinger Daimler-Werk 1918. Anfang November 1918 erreichte die Belegschaft mit etwa 5600 Arbeitern und Angestellten ihren Höchststand und überstieg die Gesamteinwohnerzahl Sindelfingens. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Revolution und Massenentlassungen im Sindelfinger Werk
Kriegsende und Revolution im November 1918 brachten für das Sindelfinger Werk tiefgreifende Veränderungen auf allen Gebieten. Wie überall in Deutschland übernahm im Zuge der Revolution auch im Sindelfinger Daimler-Werk der Arbeiterrat im November 1918 die Führung - zumindest kurzfristig. Es hätte aber vermutlich gar keiner streikenden Arbeiter bedurft, um das Sindelfinger Daimler-Werk lahmzulegen. Da das Werk zu 100 Prozent auf Rüstungsproduktion ausgerichtet war, kam die Fertigung nach Kriegsende praktisch vom einen auf den anderen Tag zum Erliegen. Die Belegschaft sank von 5600 im November 1918 auf 1200 im Oktober 1919, teilweise wurden mehrere hundert Entlassungen an einem Tag vorgenommen. Die Entlassungen schwächten auch die Stellung des Arbeiterrates entscheidend, so dass sich dieser bereits im Dezember 1918 wieder auflöste. Für die Stadt und ihre Einwohner bedeuteten die Massenentlassungen eine Katastrophe, wenn man auch berücksichtigen muss, dass die meisten Daimler-Arbeiter von auswärts kamen. Dafür verschärften aber wieder die zahlreichen Kriegsheimkehrer die Arbeitsmarktsituation in Sindelfingen.

Produktionsumstellung und Krisenjahre nach 1919
Die Umstellung des Sindelfinger Werkes vorn Flugzeug- auf den Karosseriebau im Lauf des Jahres 1919 - die Übergangszeit hatte man unter anderem mit der Produktion von Schlafzimmermöbeln zu überbrücken versucht - brachte zunächst aufgrund einer missglückten Modellpolitik nicht den gewünschten Aufschwung, vielmehr wurden die Probleme durch die Hyperinflation von 1923 noch verschärft. Auch von der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung, die ab 1924 in Deutschland einsetzte, konnte die DMG zunächst nicht profitieren. Im Gegenteil, das Jahr 1925 wurde zum schwersten Krisenjahr der DMG. Die Belegschaft des Werkes Sindelfingen, die seit 1919 immer zwischen 1200 und 1400 Personen betragen hatte, sank auf 575. Es kam zu Lohnkürzungen von bis zu 47 Prozent, sogar über eine völlige Schließung des Werkes wurde nachgedacht. Entsprechend dieser Entwicklung erlebte auch Sindelfingen 1925/26 seinen wirtschaftlichen Tiefpunkt. Aus den Unterlagen lässt sich erschließen, dass diese Jahre der Stadt schlimmere Not brachten als die große Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre.

Bild: Serienproduktion im Werk Sindelfingen um 1928. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Fusion zur Daimler-Benz-AG
Um die Misere zu beenden, machte man sich in der Konzernspitze der DMG Gedanken über mögliche Geschäftspartner, und so kam es 1926 schließlich zur Fusion mit der Automobilfirma Benz und zur Entstehung der Daimler-Benz AG. Im Rahmen dieser Fusion fielen auch dem Werk Sindelfingen neue Aufgaben zu. So wurde 1926 der Omnibusbau von Gaggenau nach Sindelfingen verlegt, im gleichen Jahr wurde die Karosserieproduktion in Mannheim eingestellt und stattdessen in das hiesige Werk verlegt. Diese Maßnahmen und die Gesundung des Gesamtkonzerns nach der Fusion führten nun endlich auch in Sindelfingen zu einem kräftigen Aufschwung, die Belegschaft stieg bis Sommer 1927 auf 2000 Mitarbeiter an. Gleichzeitig ... fand unter dem seit 1927 amtierenden Werksleiter Wilhelm Haspel auch eine durchgreifende Rationalisierung und Modernisierung statt, so dass das Sindelfinger Werk Ende der 20er Jahre mit seinen Montagebändern, einer Vorform der Fließbänder, zwar noch nicht den amerikanischen Vorbildern entsprach, aber jedenfalls als modernstes Werk der Daimler-Benz AG gelten konnte.

Bild: Das Sindelfinger Daimler-Werk Ende der 20er Jahre. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Gründung der „Sindelfinger Wohnstättengesellschaft“
1929 betrug der absolute durchschnittliche Brutto-Stundenverdienst für Daimler-Facharbeiter 1,25 Mark und für Hilfsarbeiter 82 Pfennig und lag damit über dem Reichsdurchschnitt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 44,5 Stunden. Das Ansteigen der Belegschaft im Sindelfinger Werk nach 1926 verschärfte die ohnehin vorhandene Wohnungsnot wieder beträchtlich. Da die Stadt allein die Mittel für große Wohnungsbauprogramme nicht aufbringen konnte und Daimler-Benz andererseits auf die Schaffung von Wohnraum drängte, kam es 1927 zur Gründung der bis heute bestehenden „Sindelfinger Wohnstättengesellschaft", SWG, an der sich die Stadt zu 60 Prozent und das Daimler-Benz-Werk zu 40 Prozent beteiligten. In den folgenden Jahren wurden immer wieder große Bauprojekte durchgeführt - 1927 beispielsweise der Bau der Zimmerplatzsiedlung zwischen Maichinger Straße und Rosenstraße. Dennoch blieb die Wohnungsnot von 1915 bis heute ein Sindelfinger Dauerbrenner.

Schatten der Weltwirtschaftskrise
Nach einer kurzen intensiven Aufschwungphase kam es bereits 1928 wieder zu Entlassungen und Kurzarbeit im Sindelfinger Werk, und im Verlauf der Weltwirtschaftskrise wurde die Belegschaft immer weiter reduziert. ...Tatsächlich scheint Sindelfingen trotz aller Not die Weltwirtschaftskrise noch relativ gut überstanden zu haben. So lag die Arbeitslosenquote Anfang 1933 im Reichsdurchschnitt bei 18,1 %, in Sindelfingen aber immerhin „nur" bei etwa 11,5%.

Der Text wurde gekürzt.

Mir freundlicher Genehmigung des Autors.

Für die Abbildungsgenehmigung der Fotos bedanken wir uns beim Mercedes-Benz-Archiv in Stuttgart-Untertürkheim.

Der Autor, Horst Zecha, ist Historiker und Kulturamtsleiter der Stadt Sindelfingen.

Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen
Teil 1: Von der Werksgründung bis zum Ende des 1. Weltkriegs (1915-1918)
Teil 3: Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit - Das Daimler-Werk im 3. Reich (1933-1945)
Teil 4: Neubeginn nach 1945 (1945-1991)


Eine ungekürzte Text-Version des Aufsatzes von Horst Zecha können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Quellen- und Literaturangaben

Stadt Sindelfingen
Daimler AG
Mercedes-Benz-Museum Stuttgart

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