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Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen

Teil 4: Neubeginn nach 1945

Quelle: Sindelfinger Fundstücke - Von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Festschrift für Eugen Schempp, herausgegeben vom Stadtarchiv Sindelfingen, Sindelfingen 1991 [Stadtarchiv Sindelfingen Veröffentlichungen 1], S. 101 – 113

Autor: Horst Zecha

Bild rechts: Erste Nachkriegsprodukte, gefertigt im Sindelfinger Werk 1945. (Foto: Mercedes-Benz Classic)

Neubeginn im Spätherbst 1945
Betrachtet man die bloßen Fakten, wie sie sich nach Kriegsende darstellten, so ergibt sich für das Daimler-Benz-Werk Sindelfingen zunächst ein augenfälliger Widerspruch. Bei Kriegsende war der Prozentsatz der zerstörten Gebäude in Sindelfingen mit 85 % höher als in allen anderen Werken. Andererseits konnte aber im Spätherbst 1945, also ein knappes halbes Jahr nach Kriegsende, die Pkw-Produktion in Sindelfingen ... bereits wieder aufgenommen werden. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich klären, wenn man berücksichtigt, dass gerade das Presswerk als Herzstück einer zukünftigen Automobilproduktion von den Zerstörungen weitgehend verschont geblieben war. Auch den Demontagen, die die französischen Besatzungstruppen im Werk Sindelfingen vornahmen, entgingen die Karosseriepressen aufgrund ihrer Größe. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass viele wertvolle und wichtige Maschinen bereits bei den Auslagerungsaktionen des Jahres 1944 abtransportiert worden waren, die nun wieder unversehrt ins Werk zurückgebracht werden konnten.

Bild links: Pkw-Produktion 1949. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Anders als nach dem Ersten Weltkrieg waren die beschäftigungspolitischen Auswirkungen des Kriegsendes nicht so tiefgreifend und langfristig. Zwar blieben Entlassungen nicht aus, aber durch die Rückkehr der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in ihre Heimatländer und das Ausscheiden vieler während des Krieges eingestellter Frauen aus dem Produktionsprozess fand bereits eine deutliche Reduzierung der Belegschaft statt. Durch Reparaturen von Fahrzeugen der amerikanischen Besatzungsmacht, die im Sommer 1945 die Franzosen abgelöst hatte, aber auch durch die Herstellung von Holzspielzeug, Bestecken und Tellern konnte die Zeit bis zur Wiederaufnahme der eigenen Pkw-Produktion, ..., einigermaßen überbrückt werden.

Parallel zum relativ raschen Wiederbeginn der Produktion verlief auch der Wieder- bzw. Neuaufbau des Werkes. Bereits im Februar 1946 wurde für Sindelfingen ein Bauprogramm von 9,5 Mill. Mark in die Wege geleitet und 1949 waren die Kriegsschäden im Werk Sindelfingen weitestgehend beseitigt. Die Rolle Wilhelm Haspels
Die zentrale Rolle für das Sindelfinger Werk in den ersten Nachkriegsjahren spielte Wilhelm Haspel. Haspel, früherer Leiter des Werkes Sindelfingen und seit 1942 Vorstand des Gesamtkonzerns, wurde im Herbst 1945 auf Anweisung der Amerikaner im Zusammenhang mit der Entnazifizierung zunächst von seinem Amt suspendiert, konnte aber seit Januar 1948 die Geschäftsleitung wieder übernehmen, nachdem er in zwei Spruchkammerverfahren rehabilitiert worden war. 1948 wurden die von Haspel bereits während des Krieges entwickelten Pläne zu einer Neustrukturierung des Daimler-Benz-Konzerns in die Tat umgesetzt. Außer seiner ursprünglichen Funktion als Karosseriewerk wurde nun in Sindelfingen auch die Endmontage aller Mercedes-Personenwagen konzentriert. Somit fiel dem Sindelfinger Werk die zentrale Rolle in der Pkw-Produktion zu, und entsprechend explosionsartig war auch seine Nachkriegsentwicklung. Hatte das Werk im Februar 1946 2500 Beschäftige, so waren es Ende 1948 7500. 1949 war in Sindelfingen bereits wieder Vollbeschäftigung erreicht, und im Jahr 1950 überstieg die Zahl der Beschäftigten mit 12.760 erstmals nach dem Krieg die Gesamteinwohnerzahl Sindelfingens.

Bild: Das Daimler-Benz-Werk Sindelfingen in den 80er Jahren. (Foto: Mercedes-Benz Classic) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Entwicklung des Daimlerwerkes bis 1991
Während Untertürkheim als zentrales Werk der Daimler-Benz AG bereits vor dem Krieg durch seine ungünstige Lage ständig mit räumlichen Problemen zu kämpfen hatte, waren in Sindelfingen zunächst unbegrenzt erscheinende Erweiterungsmöglichkeiten vorhanden, und es wurde mit riesigem Investitionsaufwand erweitert. Allein in der Zeit von 1979 bis 1984 betrugen die durchschnittlichen jährlichen Investitionen 493 Millionen Mark. Überlegungen, ob nicht auch irgendwann die räumlichen und personellen Grenzen des Sindelfinger Werkes erreicht würden, wurden in der Konzernführung erstmals zu Beginn der 70er Jahre laut. In der Jubiläumschronik zum hundertjährigen Firmenbestehen aus dem Jahr 1986 heißt es dazu: „Die Frage, ob Sindelfingen den Anforderungen weiterer Kapazitätssteigerungen auch auf die Dauer gewachsen sein würde, stellte sich erstmals im Jahr 1972. Die Bedenken entstanden vor allem aus der Überlegung, dass ein Werk wie Sindelfingen nicht eine gewisse Größenordnung überschreiten sollte, um für die Infrastruktur der umgebenden Region nicht zur Belastung zu werden." In dem Werk waren damals über 30.000 Menschen beschäftigt.

Diese Überlegungen führten zusammen mit anderen Faktoren zum Aufbau eines zweiten, allerdings erheblich kleineren Karosseriewerks in Bremen. Die Gründung des Werkes Bremen führte aber nun keineswegs zu einer Stagnation des Sindelfinger Werkes, ganz im Gegenteil, die Produktionszahlen kletterten weiter von 250 Pkw pro Tag im Jahr 1956 auf gegenwärtig (1991) etwa 1700 Pkw pro Tag. Heute (1991) arbeiten etwa 46.000 Menschen auf dem mittlerweile 200 ha großen Werksareal, davon 9000 Ausländer. ...

Die Auswirkungen, die die Anwesenheit eines so großen Unternehmens auf eine Stadt wie Sindelfingen hat, können sicher kaum hoch genug eingeschätzt werden - der Gewerbesteuerrückgang und die daraus resultierenden Probleme im städtischen Haushalt beweisen es augenblicklich (1991) wieder überdeutlich. Vollbeschäftigung, hohe Löhne und vorbildliche städtische Sozialeinrichtungen - auf der anderen Seite Verkehrskollaps, permanente Wohnungsnot, überteuerte Mieten und Grundstückspreise - alles hat aufs engste mit „dem Daimler" zu tun. Die Ansiedlung des Untertürkheimer Unternehmens 1915 hat das Bild der Stadt grundlegend verändert und ihre Geschichte maßgeblich beeinflusst.

Der Text wurde gekürzt.

Mir freundlicher Genehmigung des Autors.

Für die Abbildungsgenehmigung der Fotos bedanken wir uns beim Mercedes-Benz-Archiv in Stuttgart-Untertürkheim.

Der Autor, Horst Zecha, ist Historiker und Kulturamtsleiter der Stadt Sindelfingen.

Aus der Geschichte des Daimler-Werkes Sindelfingen
Teil 1: Von der Werksgründung bis zum Ende des 1. Weltkriegs (1915-1918)
Teil 2: Von der November-Revolution bis zum Ende der Weimarer Republik (1918-1933)
Teil 3: Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit - Das Daimler-Werk im 3. Reich (1933-1945)


Eine ungekürzte Text-Version des Aufsatzes von Horst Zecha können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Quellen- und Literaturangaben

Stadt Sindelfingen
Daimler AG
Mercedes-Benz-Museum Stuttgart

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