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Arbeitslosigkeit und politische Radikalisierung in Steinenbronn

Krisenjahre am Ende der Weimarer Republik

Quelle: Die nationalsozialistische Machtergreifung am 30. Januar 1933 und die erste Zeit der NS-Herrschaft in Steinenbronn. In: Steinenbronn - Neues von Gestern und Heute, Herausgeber: Gemeinde Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar 1997, S. 74-79

Autor: Paul E. Schwarz

Bild: Der Schultheiß und die Gemeinderäte bei der feierlichen Begrüßung des ersten Personenzugs der Schönbuchbahn im Steinenbronner Bahnhof am 22. Juni 1928. Viele Steinenbronner arbeiteten damals als Pendler in der Landeshauptstadt. Die Trassenführung durchs Siebenmühlental war für Steinenbronn nicht besonders günstig. Der Bahnhof lag 20 Minuten außerhalb der Ortsmitte. (Aus: Steinenbronn – Vergangenheit und Gegenwart einer Schönbuchgemeinde, Steinenbronn 1979) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern


... Seit der Jahrhundertwende, besonders rasch aber nach dem 1. Weltkrieg, hatte sich unser altes Bauerndorf zu einer überwiegenden Arbeiterwohngemeinde mit kleinbäuerlichem Hintergrund entwickelt. Die jungen Männer und Frauen, die im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie nicht mehr benötigt wurden, verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Handwerker, Hilfsarbeiter oder Hausangestellte im Bereich der nahen Landeshauptstadt. Das Los der Pendler wurde 1928 durch die Inbetriebnahme der Bahn nach Leinfelden und den dadurch möglichen Anschluss bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof wesentlich erleichtert.

Die meisten Steinenbronner waren im Baugewerbe tätig, das nach dem 1. Weltkrieg in unserem Raum einen starken Aufschwung erlebte. ... Schon 1928, ein Jahr vor dem spektakulären Bankenkrach vom 29. November 1929, begann es in der Bauwirtschaft zu kriseln, wurden auch Bauarbeiter aus unserer Gemeinde arbeitslos. ...

Arbeitslosigkeit am Ende der Weimarer Republik
Die Arbeitslosen erhielten vom Staat in der Regel 20 Wochen Arbeitslosenunterstützung und 16 Wochen die geringe Krisenunterstützung. Danach waren sie auf die Wohlfahrtsleistungen der Gemeinde angewiesen, für die es keine einheitliche Mindesthöhe gab. ...

Für die meisten Steinenbronner Arbeitslosen boten allerdings die wirtschaftlichen Strukturverhältnisse der kleinbäuerlichen Familien eine gewisse Erleichterung. Viele konnten, zumindest zeitweise, im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern oder Verwandten mitarbeiten. Vielleicht erklärt dies auch die Tatsache, dass sich in unserem Ort in den Jahren 1928 bis 1932 die politische Agitation weniger aggressiv abgespielt hat als in anderen stadtnahen Gebieten.

Die Arbeitslosen mussten sich auf dem Rathaus melden, von wo die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung an das Arbeitsamt weitergeleitet wurden. 1928 waren 20 ständige Arbeitslose, heute würde man sagen „Langzeitarbeitslose“, gemeldet. 1929 kamen 10 weitere hinzu. 1929 gingen zusätzlich 80 Neuanmeldungen und Anträge auf Krisenunterstützung ein. 1930 waren schließlich 131 Meldungen zu verzeichnen, so dass die Gesamtzahl der Arbeitslosen auf 140 anstieg. Darunter befanden sich 24 total „Ausgesteuerte“, d.h. solche, die keinerlei finanzielle Unterstützung mehr erhielten. Auch 1931 blieben diese Zahlen unvermindert hoch. 1932 waren schließlich 135 Anträge auf dem Rathaus zu bearbeiten.

Viele dieser Anträge auf Krisenunterstützung wurden vom Arbeitsamt mit der Begründung abgelehnt, dass die Eltern landwirtschaftlichen Besitz hätten. Zu Anfang des Jahres 1933 hatte die Arbeitslosigkeit einen solchen Umfang angenommen, dass kaum noch ein Haus von der Notlage verschont blieb.

Die Bezieher von Arbeitslosen- und Krisenunterstützung mussten sich an jedem Werktag beim Arbeitsamt oder einer Außenstelle persönlich zur Kontrolle melden. Dabei bekamen sie einen Stempel in ihre Meldekarte. Nach diesem Vorgang sagte man im Ort nicht „er ist arbeitslos“, sondern „er geht stempeln“. Vom Arbeitsamt wurden in den Gemeinden Meldestellen eingerichtet, in denen während einer festgelegten Zeit in Steinenbronn von 8.00 bis 8.30, „gestempelt“ werden konnte.

Es seien erschütternde Bilder gewesen, so erzählt man, wenn die jungen Männer auf dem Rathaus bis auf die Straße hinaus in langer Schlange auf ihre Abfertigung warteten. Als 1930 die Meldestelle nach Waldenbuch verlegt wurde, mussten sie dort, bei Wind und Wetter, jeden Tag zu Fuß und mit dem Fahrrad ihren Stempel abholen. Auf heftigen Protest der Gemeindeverwaltung wurde im Winter die Verlegung rückgängig gemacht. ...

Die Gemeinde geriet durch die steigende Notlage ihrer Bürger selbst in immer größere finanzielle Bedrängnis, so dass sie keine Mittel mehr für die anwachsenden Wohlfahrtsleistungen aufbringen konnte, zumal sie durch die enorm hohen Kosten des eben abgeschlossenen Wasserleitungsbaus übermäßig verschuldet war. ...

1932 richteten acht Filder- und Schönbuchgemeinden des Stuttgarter Amtsoberamts, darunter Waldenbuch und Steinenbronn, eine gemeinsame Bittschrift um Hilfe an das Oberamt. ...

Freiwilliger Arbeitsdienst
Die auch in Steinenbronn in dieser Zeit als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gedachte Bildung eines freiwilligen Arbeitsdienstes brachte weder für die Gemeinde noch für die Arbeitslosen eine spürbare Erleichterung.

Der Arbeitsdienst führte die Korrektion des Klingenbachs bis zum Sulzbach durch. Daneben wurde 1932 und im Winter 1933/34 mit Genehmigung und finanzieller Unterstützung des Landesarbeitsamts von der Gemeinde Notstandsarbeiten an Feldwegen durchgeführt. Von dem Stundenlohn von 45 – 55 Pfennig übernahm das LAA die Hälfte. ...

Politische Auseinandersetzungen vor 1933
Von gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen blieb gegen 1932 auch Steinenbronn nicht verschont. So kam es anlässlich einer Wahlversammlung der SPD mit Curt Schumacher im Gasthaus zu Löwen zwischen einem großen Aufgebot von SA-Leuten und den zum Schutz der Veranstaltung aufgestellten Reichsbannerleuten zu schweren Krawallen und Schlägereien. Auch ohne besonderen Anlass gab es immer wieder Reibereien und Auseinandersetzungen auf der Straße zwischen SA-Leuten und Anhängern der politischen Linken.

Die Rivalitäten traten häufig offen zutage zwischen den beiden sehr aktiven Radfahrervereinen, dem rechtsgerichteten „Blauen Pfeil“ und der den linken Arbeitersportvereinen zugerechneten „Solidarität“. ...

Bis zum Umbruch 1933 hatte sich eine starke Gruppe von radikalen Anhängern und Mitgliedern der NSDAP gebildet, die auch während und nach der Machtübernahme das Gesetz des Handelns im Ort an sich riss.

Bild: Stimmzettel der Reichtagswahl vom März 1933 - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Wahlen 1932 und 1933
Im Reich waren der Machtübernahme die Wahlen des Reichtagspräsidenten und zwei entscheidende Reichtagswahlen vorausgegangen. Bei der Wahl des Reichspräsidenten am 13. März und 10. April 1932 war Hitler im zweiten Wahlgang dem amtierenden Hindenburg klar unterlegen.

Wäre es allerdings bei dieser Wahl nach Steinenbronn gegangen, so wäre im ersten Wahlgang Thälmann (35,6 %) und im zweiten Wahlgang Hitler (39,6 %) Reichspräsident geworden. Dieses Wahlergebnis zeigte ganz deutlich, dass damals in Steinenbronn eine starke Tendenz zur extrem rechten oder linken politischen Richtung vorherrschend war, während die konservative Bauernschaft mehrheitlich (28,6 %) Hindenburg wählte. ...

Bei den Reichtagswahlen erreichte die NSDAP in Steinenbronn 1932 verhältnismäßig schwache Ergebnisse:

ReichtagswahlSteinenbronnReich
31. 07. 193235,8 % 37,4 %
06. 11. 193230,1 % 33,1 %
05. 03. 193344,0 %43,9 %
Bei der letzten demokratischen Wahl im März 1933 lag Steinenbronn [bei der Stimmenzahl der NSDAP] gleich mit dem Ergebnis im Reich. Entsprechend der Entwicklung im Reich war also auch in Steinenbronn ab 1932 eine zunehmende Anhängerschaft für die Nationalsozialisten entstanden. Dagegen lagen hier die SPD und die KPD mit je 24 % deutlich höher als der Reichsdurchschnitt von 18,3 % für die SPD und 12,3 % für die KPD.
Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Steinenbronn.

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