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Gültstein>>Otto Kapp von Gültstein

In Hörweite der Bahn wollte er beerdigt werden

Feierstunde zum 150. Geburtstag des Ingenieurs Otto Kapp von Gültstein


Quelle: Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 4. August 2003

Autorin: Sabine Ellwanger

Bild: Otto Kapp hochdekoriert mit 54 Jahren (Aus: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999)

Eisenbahnen waren sein Leben, sein unruhiger Geist kennzeichnete ihn: Otto Kapp von Gültstein (1853-1920) wäre am 1. August 150 Jahre alt geworden. Anlass genug für das Bezirksamt, sich in einer Feierstunde auf dem ehemals Kappschen Anwesen an sein bewegtes Leben zu erinnern.

Für eine gelungene Einstimmung sorgte am Freitag der Männerchor des Liederkranzes Gültstein/Tailfingen: Ein schriller Pfiff, bitte einsteigen! Um eine Zugreise von Wien nach Triest ging es - Thema des Abends. In ihren Ansprachen würdigten Gültsteins Ortsvorsteher Alois Plümper und Herrenbergs Oberbürgermeister Volker Gantner Otto Kapps Lebenswerk, der an seinem 60. Geburtstag zum Ehrenbürger des Orts ernannt wurde, also exakt vor 90 Jahren.

Franz Schmeller, der stellvertretende Verbandsdirektor des Landeswohlfahrtsverbands (LWV), ging auf die Verwendung der 1907/1908 erbauten Villa ein, die heute zum Anwesen des LWV gehört. Einen überaus interessanten Einblick in das Leben des Eisenbahningenieurs hatte Joachim Kresin vom Herrenberger Stadtarchiv zusammengestellt. „Je perse“ - Ich setze mich durch! Selbstbewusst wählte Kapp diesen Spruch für sein Wappen, als er 1905 von König Wilhelm II. in den erblichen Adelsstand erhoben wurde. Fortan nannte er sich „Kapp von Gültstein“ nach dem Geburtsort seines Vaters und aus Verbundenheit mit der Gäugemeinde, in die er sich in seinen letzten Lebensjahren zurückzog.

Der Lehrerssohn Otto Kapp wurde am 1. August 1853 als ältestes von elf Kindern in Rottenburg geboren. Durch einen Freund seines Vaters, den Ingenieur Wilhelm von Pressel, Miterbauer der Brennerbahn und der Orientbahnen, entstand der Wunsch, Ingenieur zu werden. Zielstrebig absolvierte er 1867 die polytechnische Oberschule in Stuttgart mit Bravour. Seine erste Anstellung fand Kapp bei den Württembergischen Eisenbahnbauämtern in Herrenberg und Dornstetten und war beteiligt an der Planung des Gäubahnstücks Böblingen - Freudenstadt. Es folgten Anstellungen in Wilhelmshaven und Holland, wo er es bis zum Regierungsbaumeister brachte.

Bild: Kapp’sches Schlösschen in Gültstein - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

1880 tat er den großen Schritt nach Belgrad, allerdings zunächst in die falsche Richtung: Als einfacher Zeichner musste er im Planungsbüro der Serbischen Bahnen unter der finanziellen Leitung eines Pariser Bankhauses beginnen. „Zeigen Sie erst, was Sie können, dann wird es schon besser werden!“ So die Antwort seines Chefs, als Kapp sich über seine Position beschwerte. Kein Problem, nach zwei Monaten war er Büroleiter. Doch nach zwei Jahren wurde das Büro wegen finanzieller Schwierigkeiten geschlossen, 30 Angestellte standen auf der Straße. Gute Kontakte halfen Kapp weiter: Er arbeitete im deutschen Planungsausschuss für die Bagdadbahn mit Sitz in Konstantinopel mit, dann wieder bei den Serbischen Eisenbahnen mit neuem Generalunternehmer. Hier baute er 1884 bis 1888 wichtige Strecken. Mit dem Inhaber der „Régie générale“, Graf Philippe Vitali, verband ihn eine enge Freundschaft. Ab Herbst 1887 leitete der Ingenieur für ein Jahr die Arbeiten am Kanal von Korinth.

Kapp arbeitete wie ein Besessener, fünfzehn Stunden am Tag im Durchschnitt. Blieb da noch Zeit für Familie? Im April 1888 heiratete er Olga Elisabeth von Kronhelm. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, die ihren Vater allerdings selten zu Gesicht bekamen. Denn der baute im Dienste der Anatolischen Eisenbahngesellschaft in den folgenden zehn Jahren am zweiten Teilstück der Bagdadbahn von Imit nach Ankara. In dieser Zeit kamen 1.500 Bahnkilometer zusammen.

Hochdekoriert mit vielen Auszeichnungen blieben ihm schwere Schicksalsschläge nicht erspart. Zwei seiner Söhne sind früh verstorben, seine Frau lebte mit der Tochter und einem Sohn in Stuttgart, wohin er ihr 1899 folgt. Bis 1913 verwirklichte er weitere 1.700 Kilometer Bahnlinien. Bittere Erfahrungen häuften sich: 1912 starb seine Ehefrau nach langer Krankheit, 1914 wurde Kapp nach 32 Dienstjahren als Chefingenieur von seinem Freund Graf Vitali entlassen, weil er jetzt im Krieg als Deutscher ein Feind war. Im Jahr 1917 starb Sohn Arnold als Offizier bei einem Flugzeugabsturz.

Bild: Neuromanische Grabkapelle der Familie Kapp auf dem Gültsteiner Friedhof, gleich neben der Bahntrasse - Detail

Otto Kapp zog sich mit angegriffener Gesundheit häufiger in seine Villa in Gültstein zurück. Sein Zustand verschlechterte sich. Ein Fuß musste amputiert werden; vermutlich litt er an Diabetes. Am 19. Oktober 1920 starb er und fand seine letzte Ruhe in der neuromanischen Grabkapelle auf dem Gültsteiner Friedhof, wo auch Frau und Sohn beigesetzt worden waren. Den Bauplatz für das Monument hatte Kapp 1908 erstanden, nahe dem Gültsteiner Bahnhof, gleich neben der Bahntrasse. Noch im Tod wollte er täglich das Rattern auf den Schienen hören.

Mit freundlicher Genehmigung der Kreiszeitung/Böblinger Bote

Nachruf auf Otto Kapp vom 22. Oktober 1920 als pdf-Dokument

Literaturhinweis:
Daniel Gotzen
Von der Gäubahn zur Bagdadbahn - Otto Kapp von Gültstein
In: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999, S. 361 – 366.

„Wie die Gültsteiner zu ihrem Schloss und ihrer Kapelle kamen“
In: Aus Schönbuch und Gäu, Beilage der Kreiszeitung/Böblinger Bote, 3+4/1989.

Einen kurzen Überblick über die Eisenbahngeschichte im heutigen Landkreis Böblingen mit Links zu weiteren Eisenbahnthemen auf www.zeitreise-bb finden sie hier.

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