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Gültstein>>Caspar Laurentius Wittleder

Caspar Laurentius Wittleder († 1769)


Quelle: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999, S. 273-278.

Autor: Joachim Kresin

Bild: Caspar Laurentius Wittleder, gemalt 1738, in Harnisch und Rock. Er lebte nach dem Motto: „factus prudenter tibi sunt meditando futura - Leb vernünftig und denk aufs künftig“. (Aus: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999, S. 274)

Es ist schon etwas Außergewöhnliches, wenn es einem Menschen gelingt, sich vom Unteroffizier zum Direktor des Kirchenrates am Hofe Herzog Carl Eugens von Württemberg hochzuarbeiten, zumal Caspar Laurentius Wittleder, ..., nicht aus adeligem Hause und zudem „Nichtwürttemberger" war. Sein Aufstieg war nicht nur seinem Fleiß und seiner Treue zum Herzoghaus zuzuschreiben, sondern auch seiner Kaltblütigkeit im Umgang mit Menschen. Als Sprungbrett zu seiner Karriere diente ihm sein Aufenthalt im Gäu und so nahm die Geschichte ihren Anfang ...

Nach dem Tod des Hirsauer Pflegers und ehemaligen Leutnants Heinrich Josias Christoph Gräther am 20. April 1747 musste die Pflegerstelle [in Gültstein] wieder besetzt werden. ... Das fürstliche Kirchenratskollegium schlug Herzog Carl Eugen von Württemberg den Leutnant Caspar Laurentius Wittleder vor, der zunächst Unteroffizier in preußischen Diensten gewesen war und sich dann im württembergischen Heer verdient gemacht hatte. ... Soldaten wurden zu dieser Zeit gerne mit Verwaltungsposten betraut, da sie selbständig arbeiteten und obrigkeitstreu waren. Wittleder erhielt die Pflegerstelle in Gültstein, und verbunden mit seiner Vereidigung am 15. Mai 1747 wurde ihm das Prädikat eines Rates zugesprochen.

Der aus einem der sächsischen Herzogtümer stammende Wittleder verwaltete nun die Güter des ehemaligen Klosters Hirsau, das hier schon 1075 Besitz hatte und seit 1534 diesen Besitz einheitlich durch Ämter, später Pflegen genannt, organisierte. Von den Pflegen wurden die Abgaben der abhängigen Dörfer - im Falle von Gültstein waren es 14 Siedlungen, die sich vom Süden des heutigen Landkreises Böblingen bis in den Landkreis Tübingen erstreckten - eingesammelt und verkauft bzw. an Hirsau abgeliefert. Gültstein erbrachte von allen Pflegen die höchsten Jahreszinsen und galt somit als die wichtigste für das Kloster. Mit der Einführung der Reformation 1534/35, endgültig jedoch 1556 wurde das Kloster aufgelöst und in das württembergische Territorium als Klosteramt eingegliedert. Fortan wurden die Güter des Klosters von einem württembergischen evangelischen Beamten verwaltet. ...

Bild: In der „Ära Wittleder“ entstand der Neubau der Mönchberger Michaelskirche.

Neue Kirche für Mönchberg
Ein Jahr nach seinem Amtsantritt musste sich Wittleder um die Belange der Mönchberger Bevölkerung kümmern, die ihre einsturzgefährdete Kirche seit deren Schließung im Jahr 1745 nicht mehr nutzen konnte und den Gottesdienst in Gültstein besuchen musste, was zu Beschwerden aus beiden Ortschaften führte. Zusammen mit Magister Burkhard Pichler, Pfarrer in Gültstein und Mönchberg, dem Schultheißen von Mönchberg, dem Stuttgarter Bauwerkmeister Johann Adam Groß der Ältere,1* dem Herrenberger Vogt Gottlieb Friedrich Heß und dem Spezial2* Heinrich Jakob Jenisch wurden sowohl der Abbruch des Mönchberger Kirchenschiffes als auch der Abbruch des Forsthauses und der Umbau des ungenutzten Mönchshauses als Saalkirche beschlossen. Schon am 10. November 1748 konnte die neue Kirche eingeweiht werden.

Wittleder kaufte dem Baumeister Groß Steine und andere wiederverwertbare Materialien, die durch den Abbruch der Mönchberger Kirche und des Mönchshauses angefallen waren, um 250 Gulden3* ab, hatte er doch im Sinn, in Gültstein eine neue Zehntscheuer erbauen zu lassen, da die alte Scheune zur Aufnahme des Getreides zu klein geworden war. ... Seine Pläne fanden Zustimmung und in den Sommermonaten des Jahres 1749 wurde die neue „Zehendt Scheuer und Frucht Gasten“ ... fertiggestellt. Selbst den Bauplatz „gleich hinter der Pfleg“, den Wittleder sein Eigen nannte, stellte er für das Bauvorhaben zur Verfügung, sehr zum Ärger von Schultheiß Johann Jakob Horsch, der ihm 150 Gulden bot, um auf dem Platz Wohnhäuser erbauen zu können.4* Doch pflichtbewusst wie er war, vertrat Wittleder die Interessen seiner Herrschaft und verzichtete auf seinen eigenen Gewinn. Im Laufe der acht Jahre, die er als Pfleger in Gültstein verbrachte, hatte er sein „Officium mit solcher Treue versehen und das Herrschaftliche Interesse dergestalten observiret, daß man obseiten des Hochfürstlichen Kirchen Raths vollkommen mit [ihm] zufrieden war“.5*

Wittleder fühlte sich in Gültstein nicht wohl, war doch die Stelle für solch einen fähigen Kopf auf Dauer zu anspruchslos. Er selbst bezeichnete den Dienst als Pfleger als puren Anfangsdienst, über den er vor Dienstantritt schlecht beraten worden sei. Zudem waren die Besoldung und der Gütergenuss sehr gering und die Wohnverhältnisse im Pfleghaus ... so katastrophal, dass er den Verlust zweier Kinder und seiner zweiten Frau im Januar 1751 auf die ungesunden Lebensumstände zurückführte. Da „dasselbige ohne Lebensgefahr nicht mehr bewohnet werden konnte6*", zog Wittleder nach Herrenberg in Miete. Mehrere Male suchte er beim Herzog um seine Versetzung nach, die endlich im Sommer 1755 Gehör fand und er nach Göppingen als Stiftsverwalter versetzt wurde. ...

Bild: Epitaph der 1751 verstorbenen Franziska Elisabeth Wittleder. Sie starb im Alter von 26 Jahren im Kindbett – klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

Wittleder und die Frauen
Wittleder kam mit seiner ersten Ehefrau Christine Klara, einer geborenen Caspar, Kaufmannstochter aus Vaihingen/Enz, nach Gültstein. Er hatte sie noch zu seiner Militärzeit im Jahr 1737 geheiratet. Mit ihr hatte er zwei Kinder, die jedoch bei den Großeltern in Vaihingen aufwuchsen.7* ... Wittleder galt als rabiater Herr, der seine Frau übel traktierte. Seine rücksichtslose Art im Umgang mit Menschen zeigte sich etwa daran, welche Mittel er einsetzte, um die adelige Franziska Elisabeth von Gültlingen-Berneck ehelichen zu können. Er entführte sie gewaltsam, als sie sich bei Verwandten in Schwandorf aufhielt. In Gültstein angekommen, zwang er Pfarrer Pichler die Trauung vorzunehmen, die, wie im Kirchenbuch des Jahres 1747 zu lesen ist, den 4. August vollzogen wurde. Für diese Tat wurden Wittleder und Pfarrer Pichler bestraft, doch blieb die Ehe gültig. In den folgenden dreieinhalb Ehejahren brachte Franziska nach einer Fehlgeburt zwei Kinder zur Welt, die jedoch kurz darauf verstarben. Während der vierten Schwangerschaft schied sie selbst aus dem Leben. Die tragischen Umstände ihres frühen Todes, sie war gerade einmal 26 Jahre alt geworden, sind in einem Epitaph, das heute an der westlichen äußeren Kirchhofmauer angebracht ist, nachzulesen. Noch in seiner Zeit als Hirsauer Pfleger in Gültstein heiratete Wittleder im Juni 1752 zum dritten Mal: die Bürgermeisterstochter Elisabeth Friederike Stuber aus Urach. ...

Von Göppingen nach Ludwigsburg – Wittleders steiler Aufstieg
Während seiner Tätigkeit in Göppingen erlangte Wittleder Aufsehen bei Hof durch ein umfangreiches Schriftstück, das er drei Monate nach seinem Amtsantritt verfasste. Darin zeigte er Herzog Carl Eugen von Württemberg (1744-1793) in diplomatischer Weise auf, durch welche Maßnahmen noch etwas aus den Untertanen herauszupressen war. Seine Herzogliche Durchlaucht, ..., brauchte Beamte nach der Art eines Wittleder. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dieser kurze Zeit später von Göppingen an den Hof nach Ludwigsburg berufen wurde und den Titel eines Kirchenratsexpeditionsrates erhielt. ... Wohlwissend dass die Regierungsgeschäfte in guten Händen waren, widmete Carl Eugen sich weiterhin den schönen Künsten. ... Finanziert wurde dies alles durch rechtswidrige Steuerausschreibungen und durch das Mittel des Ämterhandels, den Wittleder unverfrorener als jeder andere vor ihm florieren ließ. ...

Wittleders Erfolge auf diesem Gebiet wurden vom Herzog mit den höchsten Ämterwürden belohnt. Am 18. Juli 1759 wurde er zum Vizedirektor des Kirchenrates und am 12. Februar 1762 zum Kirchenratsdirektor ernannt. Der ehemalige Hirsauer Pfleger stieg damit zu einem der obersten Staatsbeamten auf. Sein Aufgabengebiet umfasste die Verwaltung des Kirchengutes, wozu auch alter Klosterbesitz gehörte, und die daraus entstandenen Einkünfte. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es fast achthunderttausend Gulden zu erwirtschaften, noch nicht gerechnet die Geldsumme, die er direkt dem Kirchenkasten entnommen hatte, um die Geldnöte des Herzogs zu lindern. ...

Letzte Jahre in Heidelberg
Indessen wurden die Proteste in der Bevölkerung gegen den Ämterschacher Wittleders immer lauter: An das Portal der Stiftskirche zu Stuttgart wurde im März 1763 anonym ein Pamphlet mit Klagepunkten gegen den Kirchenratsdirektor angebracht. In Ludwigsburg fand sich ein Esel, an seinem Büro angebunden mit einem Plakat folgenden Wortlauts um den Hals: „Ich hätte gerne einen Dienst". Als sich der an der Stiftskirche zu Stuttgart tätige Prälat Heller weigerte, Wittleder das Abendmahl zu reichen, kam es schließlich zum Eklat. Auf massiven Druck der Öffentlichkeit quittierte Wittleder am 23. Dezember 1766 seinen Dienst und verließ das Herzogtum Württemberg. In Heidelberg trat er in kurfürstliche Dienste und bekleidete das Amt eines Geheimen Rates.

Caspar Laurentius Wittleder starb am 14. Dezember 1769 in Heidelberg eines natürlichen Todes. Der Sohn eines Hofküfers stieg die Karriereleiter vom einfachen Soldaten zum Geheimen Rat und Kirchenratsdirektor empor und beeinflusste durch sein Wesen und Handeln eine Zeit, die für die Untertanen eine der schlimmsten in der Geschichte Württembergs war. Es verwundert deshalb nicht, dass ihm folgendes Denkmal als Grabinschrift in Heidelberg gesetzt wurde:

Hier liegt begraben ein Exzellenz, der lieben Schwaben Pestilenz; so klein
an Geist als dick an Leib, ach dass er doch allhie verbleib, auf dass er nicht
in jener Welt verschlucke württembergisch Geld.8*

1

Sein Sohn J. A. Groß d. J., ebenfalls herzoglicher Baumeister, war in den Jahren 1784-1787 für den Wiederaufbau des durch einen Brand zerstörten Dorfes Gültstein verantwortlich.

2

Spezial, Special: Abkürzung von „Spezialsuperintendent“, d.h. Dekan. Der Dekan war mit der Dienstaufsicht über die Pfarrer und dem Visitationsrecht der umliegenden Gemeinden betraut.

3

1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark.
Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875.

4

HStAS A282 Bü 1892.

5

Ebd.

6

Ebd.

7

Das Verhältnis zu seinen Kindern war sehr gespannt. Eine Tochter aus erster Ehe stritt nahezu 10 Jahre zusammen mit ihrem Ehemann um das ihr zustehende mütterliche Erbe in Höhe von 12.000 Gulden. Im April 1769 erhob sie Klage gegen ihren Vater. Eine Erklärung, die dieser zu der Streitsache an Herzog Carl Eugen abfasste, ist voller Boshaftigkeiten gegen seine Kinder. Der Streit regelte sich schließlich durch den Tod Wittleders im Dezember 1769 von selbst.

8

Heß, Chronik Herrenberg, Bd. 2, Buch l, Kap. 2., Nachtrag von anderer Hand. Leider ist das Grabdenkmal in Heidelberg nicht mehr auffindbar.

Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Stadt Herrenberg.

Literaturhinweis:
Erwin Haas: Der unaufhaltsame Aufstieg des Caspar Laurentius Wittleder vom Unteroffizier zum Kirchenratsdirektor. In: Hohenstaufen, Helfenstein. - 1.1991. - S. [162]-168.
Theodor Haug: Geschichte von Gültstein, 1935. In: Aus Schönbuch und Gau, Beilage des Böblinger Boten, Nr. 3/1965.
Heinz Erich Walter: Wie Wittleder eine Frau raubte und verlor. In: 1200 Jahre Gültstein, 1969. S. 230-232.

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