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Jagdscheine – Zeugnisse des gesellschaftlichen Wandels Quelle: Historische Blitzlichter aus dem Kreisarchiv Böblingen, Böblingen 2001Autorin: Dr. Helga Hager | ||||
Foto: Waldenbucher Jagdgesellschaft in den 30er Jahren. Rechts Jagdpächter Alfred Ritter, in der Mitte Forstmeister v. Heider (Foto: Archiv Waldenbuch) Was auf den ersten Blick als bloße bürokratische Hinterlassenschaft erscheint, vermittelt auf den zweiten einen plakativen Eindruck vom gesellschaftlichen Wandel: Anfang der 50er Jahre beantragen neben anderen Berufsgruppen auch Maschinenarbeiter, Mechaniker, Maschinenschlosser, Hilfsflaschner, Blechsäger, Monteure, Kraftfahrer, ja selbst Hilfsarbeiter einen Jagdschein beim Landratsamt Böblingen – und bekommen ihn. Dieser Jagdschein berechtigte zur Ausübung der Jagd.Das Jagdrecht - Ende eines herrschaftlichen Privilegs Noch 100 Jahre zuvor stellte das Jagdrecht ein herrschaftliches Privileg dar. Es stand mit wenigen Ausnahmen nur dem Adel zu – genauer gesagt, den Grund- und Standesherren sowie dem Landesherrn, dem württembergischen König. Erst die 1848er Revolution brachte es zu Fall. Von nun an durfte nicht mehr auf fremdem, sondern nur noch auf eigenem Grund und Boden gejagt werden; das Jagdrecht war also an Grundbesitz gebunden. Da jedoch die Güter in Württemberg vielfach klein und zersplittert waren, konnten – bzw. mussten – Grundbesitzer unterhalb eines bestimmten Flächenlimits ihr Jagdrecht gesammelt der Gemeinde überlassen. Diese verpachtete entweder die Jagd auf ihrer Gemarkung oder stellte hierfür selbst „rechtliche und zuverlässige Männer" auf. Als Ausweis mussten die Pächter und andere Jagdberechtigte auf dem Rathaus einen Jagdschein beantragen. Auch im Bereich der Staats- und Privatjagden galt die Jagdscheinpflicht weitgehend. Beim Blick auf die ältesten überlieferten Jagdscheine aus den 1890er Jahren begegnen wir zunächst einer ländlichen Gesellschaft, die immer noch agrarisch-handwerklich geprägt ist: Gutsbesitzern und -verwaltern, größeren Bauern, Wirten, Müllern und selbständigen Handwerkern wie Metzgern, Bäckern, Wagnern oder Küfern – und natürlich auch Schultheißen und Gemeinderäten. Daneben stellen das staatliche Forst- und Jagdpersonal und die in Gemeindediensten stehenden Feld- und Waldschützen sowie Jagdaufseher eine größere Gruppe dar. Prestigeträchtiges Freizeitvergnügen des aufstrebenden Bürgertums Zugleich begegnen wir am Ende des letzten Jahrhunderts dem heraufziehenden industriellen Zeitalter in Gestalt der Unternehmerschaft – sei es etwa dem im Land führenden Brauereifabrikanten Christian Dinkelacker aus Sindelfingen, oder sei es dem aufstrebenden Drechslermeister Gottlieb Renz aus Weil im Schönbuch, der seine Fasshahnen bereits industriell fertigte. Anfang unseres Jahrhunderts und in der Weimarer Republik gewinnen die Vertreter dieser neuen Zeit an Gewicht: Fabrikdirektoren, Ingenieure, Betriebsleiter, Bankiers sowie auch das Bildungsbürgertum, Ärzte, Lehrer, höhere Beamte, Buchhändler. Zugleich finden aber vereinzelt auch weniger prestigeträchtige Berufsgruppen wie Buchhalter, Briefträger, Amtsdiener oder Hilfsarbeiter Eingang in die Jagdgesellschaft. Handelte es sich hier vielleicht in Wirklichkeit um nebenberufliche Feld- und Waldschützen oder Jagdaufseher, die sich mit dieser Tätigkeit ein Zubrot zu ihrem knappen Haupteinkommen verdienten? – Bereits 1918 tritt die erste Frau ihren Platz an Kimme und Korn an: Freifrau Edwina von Thüna aus Sindelfingen. Geschlechtsgenossinnen ‚aus dem Volk‘ - Hausfrauen, Sekretärinnen - sollten ihr erst ein halbes Jahrhundert später folgen. Starkes Interesse an Jagdscheinen nach 1945 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag die gesamte Jagd im Kreis kurzzeitig in den Händen der amerikanischen Besatzungsmacht. Danach mussten die Antragsteller von Jagdscheinen ihre politische Vergangenheit anhand des Spruchkammerbescheides1* offen legen. In den Nachkriegsjahrzehnten nimmt das Interesse an Jagdscheinen stark zu, und ihre Inhaber repräsentieren ein breites Bevölkerungsspektrum. Übrigens: Für die im Kreis stationierten amerikanischen Soldaten selbst stellte die Jagd in den 50er Jahren und auch später ein beliebtes Freizeitvergnügen dar. Selbst Generäle gingen im Schönbuch auf die Pirsch. Nebenbei beleuchten die Jagdscheine auch die sozialpsychologische Bedeutung der Jagd: So beantragt mitten im Zweiten Weltkrieg ein Angehöriger der Generalkommandantur Weißrußland von seinem Standort Minsk aus einen Tagesjagdschein für einen Kurzurlaub in Sindelfingen. Auch ein namhafter Fabrikant aus dem Kreis plante für seinen 14tägigen Heimaturlaub im Sommer 1942 fest die Jagd ein. Gegebenheiten, die ganz unterschiedliche Interpretationen über das Jagen zulassen ...
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Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Weiteres Material zu diesem Thema finden Sie in zeitreise-bb unter:
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