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Die Finanzierung des ersten Weltkriegs (siehe auch zeitreise-bb: Der Herrenberger Pfennig, ein Notgeld, hier: zum Notgeld des Ersten Weltkriegs) hatte das Kaiserreich ca.164 Milliarden Mark gekostet (die am 15.November 1923 noch einen Wert von 16,4 Pfennig (sic!) hatten). Aufgebracht hatten diesen Betrag die Bürger in Form von Kriegsanleihen.
Diese Summe mußte nach Kriegsende von der jungen Weimarer Republik erstens weiter verzinst und zweitens getilgt werden, doch wie? Ein weiterer Geldbedarf bestand in der Versorgung der Kriegerwitwen und ihren Kindern, der Kriegsversehrten, der Flüchtlinge (so mußten ca. 100 000 Deutsche Elsaß-Lothringen verlassen), der Arbeitslosen und der entlassenen Soldaten. Auch dieser Komplex mußte finanziert werden, doch wie? Verstärkt wurde diese Problematik durch die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, den einsetzenden Reparationszahlungen, den aufgrund des Vertrags von Versailles weggefallenen Industriegebieten und Rohstoffvorkommen, dem Wegfall traditioneller Exportgebiete und den enormen Schäden in der durch den Krieg vernachlässigten Infrastruktur; so deckte das Steueraufkommen lediglich 14% der Ausgaben des Reichs.
Aufgrund angeblich ausstehender Reparationsverpflichtungen besetzten belgische und französische Truppen am 11.Januar 1923 das Ruhrgebiet, um dessen Produktion direkt beschlagnahmen und unter eigener Regie vermarkten zu können. So standen die Kohle, der Stahl und die Industriegüter des Ruhrgebiets der Wirtschaft des Reichs nicht mehr zur Verfügung, was die mißliche Wirtschaftslage enorm verschärfte. Eine weitere Verschärfung kam hinzu, als die deutsche Reichsregierung zum passiven Widerstand aufrief, es wurden nicht nur alle Reparationslieferungen sondern auch alle Arbeiten im Ruhrgebiet eingestellt. Diese Einkommensausfälle von ca. 60 Millionen Goldmark täglich (sic!) wurden vom Reich durch die immer schneller laufenden Notenpressen finanziert. Am 26.September 1923 mußte der passive Widerstand wegen der sich abzeichnenden Wirtschaftskatastrophe erfolglos abgebrochen werden.
Von diesen Zeiten profitieren die Schuldner, Schieber, Schwarzhändler, der enorm bei seinen Bürgern verschuldete Staat, Sachwertbesitzer und diejenigen, die schon immer von der Hand in den Mund gelebt hatten. Die Spargelder von Generationen und die mühsam über viele Jahre zusammengekratzten Rücklagen fürs Alter werden vernichtet. Normalbürger, die Sparer und Rentner und Pensionäre erleiden existentielle Verluste. Durch den Mangel an echter Kaufkraft verloren auch Immiobilien ihren Wert, wenn sie bei Notverkäufen unter den Hammer kamen, de facto wurden Immobilien dann verschleudert. Die systemstabilisierende Mittelschicht wird in wenigen Monaten quasi ausgelöscht. Sie macht dafür die Weimarer Republik verantwortlich und wird so, wissentlich oder unwissentlich, zum Steigbügelhalter Hitlers. Am 16.November 1923 wird die Inflation durch die Einführung der Rentenmark beendet.
Die Gesamtmenge des umlaufenden Geldes wird auf 3,2 Milliarden begrenzt und die Staatsausgaben durch die Entlassung von 300000 Beamten, Angestellten und Arbeiter und durch die Kürzung der Löhne, Gehälter und Renten verringert. Eine stark verringerte Geldmenge steht einem ausreichenden Warenangebot gegenüber, dadurch wird wiedereine bemerkenswerte Preisstabilität geschaffen.
Stellvertretend für die anderen Gemeinden des heutigen Kreises Böblingen soll der Leonberger Raum stehen, war doch die Entwicklung identisch oder zumindest sehr ähnlich. Betrachtet man die in der Landeshauptstadt Stuttgart gezahlten Preise ausgewählter Waren (siehe auch „Inflation konkret“, hier Stuttgarter Preise ausgewählter Waren zwischen 1919 und 1924), dann stellt man schon für die Jahre 1919 bis Februar 1922 eine Entwicklung fest, die man als eine schleichende Inflation bezeichnen kann. Ab Juli 1922 zieht diese deutlich an, so daß bereits Ende 1922 der Begriff galoppierende Inflation nicht unangemessen ist.
Wie heißt es? „ Essen muß man immer“, sofern man etwas zum Essen hat - und wenn nicht, dann muß dieses irgendwie eingetauscht werden, denn in dieses Papiergeld mit seinen immer größer werdenden Geldbeträgen, den Hundertausendern, den Millionen ja Milliarden und später sogar Billionen, Zahlen, von denen es einem fast schwindelig wird, in dieses Geld hat kein vernünftiger Mensch mehr Vertrauen. So tauscht man dann z. B. einen Ofen gegen Weizen und Gerste, eine alte Nähmaschine gegen junge Hühner und Weizen oder einen Kittel mit Stiefeln gegen Stallhasen, Stiefel gegen Kartoffeln, Heu oder Stroh gegen Most und Mostobst gegen Frucht (Brotgetreide).
Wenn nun die Güter und Dienstleistungen, die gegen Geld erhältlich sind, in immer geringerem Maße auf dem Markt erscheinen, da der Hersteller dieser Güter etc. mit dem immer wertloser werdenden Geld, das er seinerseits für diese Waren bekommt, weder die verarbeitete Rohstoffe ersetzen kann noch in der Lage ist, seine Arbeitern täglich den Lohn inflationsangepasst auszubezahlen, den sie verdient haben, dann sind Massenentlassungen und eine weitere Verarmung der Bevölkerung die Folge. Warum auch sollte jemand, der z. B. ein Einzelhandelsgeschäft hat, eingekaufte Waren für ein Geld hergeben, mit dem er mit sehr großer Sicherheit seine verkauften Warenbestände nicht wieder auffüllen kann, geschweige denn, er von diesem Verkaufserlös seinen Lebensunterhalt mitbestreiten kann.
In dieser Situation sind die öffentliche Hand und die Gemeinden zusätzlich gefordert. So bekommt zum Beispiel die Gemeinde Renningen vom Kommunalverband im August 1923 für die „mittleren und ärmeren notleidenden Einwohner“ acht Zentner (ein Zentner hat 50 kg) Zucker. Im Oktober stellt das Ernährungsministerium auf Vermittlung des Oberamts Leonberg einen Kredit (!) in Höhe von 10 Billionen Mark zum Kauf von Weizen und Kartoffeln zur Verfügung, und die Renninger, „die nichts mehr verdienen können“ sollen sich zur Verteilung beim Rathaus melden. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wie Waldarbeiten und Bachputzete sollen für etwas Brot und Arbeit sorgen. In der Oberamtsstadt Leonberg ist die Lage sehr ähnlich. Für die Versorgung Bedürftiger besorgt die Stadt Leonberg Kartoffeln. Der Stellenwert von Kartoffeln war ein ganz anderer als heute, aßen doch die Menschen viel viel mehr Kartoffeln als jetzt. Für die Armen waren billige Kartoffeln die Nahrungsgrundlage, weswegen exemplarisch die Kartoffelproblematik beleuchtet werden soll: Schon im Februar 1921 beschließt der Leonberger Gemeinderat den stadteigenen Kartoffelvorrat von über 400 Zentnern unter dem Selbstkostenpreis, dieser liegt zwischen 30 und 32 Mark, für 28 Mark pro Zentner abzugeben. Die Vor- und Fürsorgemaßnahmen der Stadt Leonberg führen im Spätjahr 1921 zum Kauf von 1042 Doppelzentnern (ein Doppelzentner hat 100kg) Kartoffeln für die Winterversorgung der bedürftigen Bevölkerungsteile. Jetzt kosten die Kartoffeln schon 65.- Mark pro Zentner, was als günstig gilt, hat man doch in den umliegenden Gemeinden deutlich mehr zu zahlen.
Wie überall gehen auch in Leonberg die Arbeitslosenzahlen drastisch in die Höhe. Im April werden in Leonberg 16 Vollerwerbslose und 240 Kurzarbeiter gezählt, arbeiten doch die beiden Schuhfabriken des Orts nur noch an drei Tagen pro Woche. Auch hier reagiert die Gemeinde mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Erwerbslose bauen im Rahmen der produktiven Erwerbslosenfürsorge zusammen mit anderen Arbeitslosen der Gegend die Mahdentalstraße vom Glemseck bis zum Schatten. Das damals noch selbständige Eltingen beschäftigt seine Arbeitslosen mit Forstarbeiten, dem Ausbau von Waldwegen oder im Steinbruch. Dadurch erhalten die Straßen endlich Kandeln. Aus Verzweiflung wandern viele aus unserem Raum nach Amerika aus.
Was bleibt, ist einerseits die gebeutelte Arbeiterschicht, für die der Kapitalismus nach wie vor das Feindbild darstellt und der verarmte und radikalisierungsbereite Mittelstand, der sich selbst in der Gefahr sieht zu verproletarisieren. Beides wird sich in den Landtags- und Reichstagswahlergebnissen des Kreises Leonberg bis 1933 widerspiegeln. | ||||||||||||||||||||||||||
Die Grafiken zur Inflation stehen in zwei Dateiformaten zur Verfügung: Diese Seite drucken |
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