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Mühlen: 2000 Jahre Technikgeschichte

Quelle: „Des Laarins Mülin“. Dokumente zur Geschichte der historischen Lahrensmühle 1350 bis heute, Verlag Technische Redaktion, Leonberg 2000

Autor: Gundolf Scheweling (Universität Osnabrück)
Jahrhunderte lang haben Wind- und Wassermühlen das Gesicht der Landschaften Deutschlands und Europas entscheidend mit geprägt. In den Regionen Mittel- und Süddeutschlands waren es die Wassermühlen, inmitten von Dörfern, in versteckten Wiesengründen oder idyllisch am Waldrand gelegen, die an rauschenden Bächen und Wehranlagen klapperten und der Landschaft ihr unverwechselbares Gepräge gaben.

Ihren Ausgang nimmt die Mühlentechnologie im prähistorischen Mesopotamien bereits 1200 vor unserer Zeitrechnung. Vom fließenden Wasser mechanisch angetriebene Wasserschöpfräder werden zur Bewässerung von Feldern verwandt. In der Weiterentwicklung dieser Technik entstehen vermutlich um 300 vor Christi im vorderasiatischen Raum die ersten Wassermühlen. Die älteste Beschreibung einer Wassermühle zum Vermahlen von Getreide findet sich in den" Zehn Büchern über Architektur" des römischen Architekturschriftstellers Vitruv um 24 vor Christi.

Wassermühlen sind also bereits 2000 Jahre vor der Erfindung der Dampfmaschine die ersten und damit ältesten naturkraftgetriebenen Maschinen in der Geschichte der Menschheit überhaupt. Ihren allmählichen Siegeszug treten die Wassermühlen im Imperium Romanum in den ersten Jahrhunderten neuerer Zeitrechnung an. Zunächst finden sie in den römischen Provinzen Gallien, Germanien und Hispanien Verbreitung. Ab dem 4. Jahrhundert nach Christi ist eine Ausbreitung der Wassermühlen auch nach Osteuropa konstatierbar, wobei den neugegründeten Klöstern christlicher Glaubensrichtungen eine ganz wesentliche, aktive Rolle bei der Verbreitung der Wassermühlen zukommt.

In Deutschland hat nach Einschätzung von Technikhistorikern die Einführung der Wasserkraft im Mittelalter ähnlich tiefgreifende wirtschaftliche und politische Verhältnisse hervorgerufen, wie sie uns durch die Einführung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert bekannt sind.

Mit dem 11./12. Jahrhundert treten als weitere Mühlenart - insbesondere in den europäischen Tiefebenen, wo es am Geländegefälle zum Errichten von Wassermühlen mangelt, aber gute Windbedingungen herrschen, sowie im Mittelmeerraum - Windmühlen in Erscheinung, die sich allmählich von Westeuropa her über Mittel- und Osteuropa ausbreiten und in ihren Verbreitungsgebieten schon bald eine gleichermaßen gewichtige Rolle spielen wie die Wassermühlen bereits seit Jahrhunderten.

Die Mühlentechnik ist bis in die Neuzeit hinein die alles überragende Technologie, die nahezu alle Bereiche der handwerklichen, der vorindustriellen und z.T. auch der industriellen Produktion dominiert. Erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts wird die jahrhundertealte Dominanz der naturkraftgetriebenen Mühlen durch die Erfindung neuer Antriebskräfte, wie der Dampfmaschine, des Verbrennungsmotors und der Elektrizität zunächst allmählich, im Zuge der beginnenden Industrialisierung dann immer stärker zurückgedrängt. Seit spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem mit der Einrichtung der Mühlenfreiheit bzw. der Aufhebung des Mühlenzwangs - kommen immer mehr motorgetriebene, von Wind und Wasser unabhängige Industriemühlen auf. Sie bereiten den in ihrer Mahl- und Produktionskapazität beschränkten, damit unterlegenen Wind- und Wassermühlen eine immer heftigere Konkurrenz. Für die Wind- und Wassermühlen beginnt ein zunächst sukzessives, dann immer schnelleres Mühlensterben, das - unterbrochen durch einen kurzzeitige Mühlenblüte in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg - 1957 in dem Mühlenstilllegungsgesetz ihren Schluss- und staatlich verordneten Höhepunkt findet. Tausende von Wind- und Wassermühlen werden, wirtschaftlich ohnehin an den Rand der Rentabilität gedrängt, im Zuge dieser sowie einer weiteren Stilllegungsaktion zu Beginn der 60er Jahre aufgegeben.

Geländeprofil

Bild: Wassermühlen werden je nach Geländeprofil von einem oberschlächtigen (Abb. hinten) oder einem unterschlächtigen Wasserrad (Abb. vorn) angetrieben.

Die einstmalige wirtschaftliche Bedeutung historischer Wind- und Wassermühlen in Mitteleuropa für ihre alten Zwecke ist mit Ende (des 20.) Jahrhunderts endgültig vorbei. Die kulturhistorische Bedeutung alter Wind- und Wassermühlen hingegen ist überragend und bleibt erhalten. Eben darin liegt der Wert der Erhaltung von historischen Wind- und Wassermühlen: In diesen manifestiert sich die gesamte Entwicklung menschlicher Produktionsweisen über einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren. Mühlen stellen ein unablässiges Spiegelbild menschlichen Erfindungsgeistes von der Antike bis in die Neuzeit dar, Mühlen symbolisieren als erste und älteste Maschinen in der Menschheitsgeschichte den Begriff Technik schlechthin, und es wird wohl kaum wieder eine Technologie geben, die über einen so großen Zeitraum so nachhaltig und in so vielfältigen Ausprägungen die Geschichte der Menschheit beeinflusst und bestimmt hat.

Wie weit die Mühlentechnik und das Mühlenwesen fest verankerter Teil der Gesellschaften früherer Jahrhunderte gewesen ist, zeigt sich in zahlreichen kulturellen Einzelbereichen der Gesellschaft. In der darstellenden Kunst, in Literatur, Dichtung und Musik tauchen Müller, Mühlen und Geschichten um Mühlen in allen Jahrhunderten auf. Der berühmte spanische Ritter Don Quichote kämpft im Mittelalter gegen Windmühlen, die großen niederländischen und flämischen Maler des goldenen Zeitalters haben immer wieder Mühlen dargestellt, und Nolde malte die Windmühlen seiner norddeutschen Landschaft. In deutschen Volksliedern klappert die Mühle am rauschenden Bach, in einem Wiesengrunde dreht sich das Mühlrad und der schönen Müllerin ist ein ganzer Liedzyklus gewidmet.

Daudet schreibt Briefe aus seiner Mühle, in Bobrowskis Roman "Levins Mühle" beseitigt ein schurkischer Obermüller die Mühle seines Konkurrenten durch die Gewalt des angestauten Wassers, und im Standardwerk von Wilhelm Busch nimmt die Mühle beim Beseitigen von Bösewichtern eine elementare Rolle ein.

Zahlreiche Ausdrücke der deutschen Sprache leiten sich aus dem Mühlenwesen her. Die tägliche, als unangenehm empfundene Arbeit wird gelegentlich als "Tretmühle" bezeichnet, gute Argumente in einer Auseinandersetzung bilden "das Wasser auf der Mühle", und allzu Bescheidene sollten nicht immer "ihr Licht unter den Scheffel stellen".

So wird das jahrhundertealte Mühlenwesen noch lange nach seinem definitiven historischen Ende als einstmals überragende Technologie auch im 3. Jahrtausend unserer Zeitrechnung im Bereich von Sprache und Kultur über- und weiterleben.

(Auszüge aus der Rede von Gundolf Scheweling anlässlich des Deutschen Mühlentags 1999)

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.

Textanhang:
Karl-Heinrich Schanz: „Die Arbeit des Müllers und die Funktion seiner Mühle“ - kurzer Text zur Technik des Mahlens

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