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Sindelfingen>>Wirtschafts-/Sozialgesch.>>IBM>>IBM-Geschichte - Teil 2

Die IBM im Kreis Böblingen

Teil 2: Das Sindelfinger Werk von der Nachkriegszeit bis zum Ende der IBM-Ära

Quelle: zeitreise bb 2005

Autoren: Klaus Philippscheck / Susanne Schmidt (unter Verwendung der Daten der „Kleinen Chronik der IBM Deutschland“)

Bild: Anzeige der IBM aus dem Jahr 1950. (Quelle: IBM)

Deutschland 1945. Der 2. Weltkrieg war zu Ende und die Gebäude der Deutschen Hollerith-Maschinen Gesellschaft (DEHOMAG) in Berlin zu 89% zerstört. Das Unternehmen, das nach dem Kriegseintritt der USA unter NS-Zwangsverwaltung gestellt worden war, unterlag dem alliierten Kontrollratsgesetz 52 und wurde von einem Treuhänder verwaltet. Generaldirektor Herman Rottke war 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht verschleppt worden.

Bereits 1943 waren infolge der Kriegseinwirkungen wichtige Unternehmensbereiche in das zu dieser Zeit noch ruhigere Süddeutschland ausgelagert worden. Der Bereich Großmaschinen nach Hechingen, die Zentralbuchhaltung nach Kuchen bei Geislingen, die kaufmännische Schule nach Reutlingen und die technische Schule nach Urach. Zum Sammelpunkt der versprengten DEHOMAG-Mitarbeiter nach dem Krieg wurde jedoch das Werk in Sindelfingen, das - nach Abzug der Franzosen im Juli 1945 - , in der amerikanischen Besatzungszone lag. Hier hatte die Deutsche Hollerith bereits 1927 Fuß gefasst und 1934 ein eigenes Werk gegründet.

Entscheidung für den Standort Sindelfingen/Böblingen
Mit der Produktion von Aschenbechern, Pfannen und Spielzeug begann 1945 der Wiederaufbau zwar ähnlich unspektakulär wie bei der Firma Daimler, wo man die erste Zeit ebenfalls mit Holzspielzeug, Bestecken und Tellern überbrückte. Aber schon ab Oktober 1945 durften in Berlin wieder Lochkartenmaschinen hergestellt werden und auch im Werk Sindelfingen wurde zwischen 1947 und 1950 die Teilefertigung schrittweise wieder aufgenommen.

Zukunftsweisend für die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung der gesamten Region war die Entscheidung der DEHOMAG, im Jahre 1948 ihre Hauptverwaltung von Berlin nach Sindelfingen (in die Tübinger Allee) zu verlegen. Während die Lage im in vier Sektoren geteilten Berlin immer unsicherer wurde, profitierte der Großraum Stuttgart vom Kalten Krieg, der seit 1947 die Ost-West-Beziehungen überschattete. Mit der Berlinblockade, - Antwort der Sowjetunion auf die Währungsreform in den Westzonen – erreichte dieser im Juni 1948 einen ersten dramatischen Höhepunkt. Im Zuge der immer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA sollte nun auch der amerikanische Name der Firma öffentlich gemacht werden. Am 6. Mai 1949 wurde die Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH in "Internationale Büro-Maschinen Gesellschaft mbH", kurz IBM, umbenannt. Eine neue Ära hatte begonnen.

Bild: IBM Präsident Thomas J. Watson sen. im Jahre 1953 (Quelle: IBM)

Böblingen wird Sitz der Hauptverwaltung
Kurze Zeit später dehnte die Firma ihren Aktionsradius auch auf die Nachbarstadt Böblingen aus. 1950 wurde im Gebäude der ehemaligen Klemm’schen Flugzeugfabrik an der Sindelfinger Straße die Produktion aufgenommen. Zwei Jahre später siedelten auch die Geschäftsleitung und die Hauptverwaltung nach Böblingen über. Im Jahre 1953 besuchte IBM Präsident Thomas J. Watson sen. zum ersten Mal nach dem Krieg die IBM Deutschland. Unmittelbare Folge des Besuchs: Der Startschuss zum Aufbau eines Entwicklungslabors unter der Leitung des aus Sindelfingen stammenden Karl Ganzhorn.

Im Rennen um das neu zu bauende Labor hatte Sindelfingen gegenüber Böblingen dann allerdings das Nachsehen. Bereits am Tag nach der firmeninternen Entscheidung riefen beide Stadtbauämter bei Ganzhorn an und offerierten ihm ihre Bauplätze. Da die Firmenleitung zugesichert hatte, dass beide Städte gleichmäßig von der Gewerbesteuer profitieren sollten und in Sindelfingen bereits eine Fabrik stand, fiel die Entscheidung für Böblingen. In Reichweite der Produktion in Sindelfingen wurde die „Denkfabrik im Grünen“ ab 1959 auf dem Schönaicher First gebaut.

Von der Lochkartendruckerei zur Chipproduktion
"I think there is a world market for maybe five computers", hatte Thomas J. Watson sen. im Jahre 1943 den Bedarf an Computern eingeschätzt. In diesem Fall hatte er sich getäuscht. Beschleunigt durch die enorme militärtechnische Entwicklung im 2. Weltkrieg, ging die Anwendung der Computertechnologie schon bald über die Berechnung von Geschossbahnen und das Kalkulieren von Tabellenwerken hinaus. Die Entwicklung der Kybernetik und die Erfindung der Transistoren führten von den mechanischen immer schneller zu elektronischen Strukturen. Trotz der anfänglich zögerlichen Haltung des Firmenpatriarchen wurde die Geschichte des Computers im Nachkriegsdeutschland maßgeblich von der IBM geschrieben.

Das Zeitalter der Elektronischen Datenverarbeitung begann bei IBM im Jahre 1953 mit dem Modell 701, das zudem als erster Computer mit einem Magnetband als Speichermedium ausgestattet war. Mit dem Magnettrommelrechner IBM 650 konnte 1955 der weltweit erste "echt" programmierbare Computer vorgestellt werden. Das Verdienst, die zukunftsweisende Rolle der neuen Technologie erkannt zu haben, kam Thomas J. Watson jr. zu, der 1956 die Firmenleitung von seinem Vater übernommen hatte. 1961 wurde das IBM System 1401, der erste mit Transistoren und gedruckten Schaltungen ausgerüstete Computer, ausgeliefert. Es wurde ein Riesenerfolg. Gefertigt wurde dieser Computer für den europäischen Markt im Sindelfinger IBM-Werk. Dafür wurde die Produktion von Schreibmaschinen nach Berlin, Amsterdam und Stockholm verlagert. Die Produktion wurde nun auf die Herstellung von Leiterplatten umgestellt, d.h. die mechanische Fertigung wich chemischen Fertigungsprozessen. Mit der Einführung des IBM-Systems/360 setzte IBM 1964 einen Standard, der es der Konkurrenz zunehmend schwerer machte, sich auf dem Markt zu behaupten. Dennoch blieb der Computer auch damals noch ein Feld für Spezialisten. Erst Anfang der 70er Jahre deutete sich mit der Verfügbarkeit billiger universeller Mikroprozessoren die Revolution auf dem Computermarkt an. Damals begann sich die elektronische Datenverarbeitung mit zunehmender Geschwindigkeit in Wirtschaft, Industrie und Handel durchzusetzen. Der richtige Durchbruch kam jedoch mit dem IBM Personal Computer. Weder war, wie Kritiker nicht müde werden zu betonen, dieser PC der technisch fortschrittlichste, noch war das von Bill Gates entwickelte Betriebssystem das beste. Nicht einmal die Anwendungssoftware gehörte zu den fortschrittlichsten, aber alles in allem hatte der IBM-PC einen hohen Gebrauchswert und wurde mit gigantischem Werbeaufwand auf den Markt gebracht, den er bald dominierte.

Die wichtigsten Meilensteine dieser Entwicklung, von Holleriths "Electric Tabulating System" bis zu Megachip-Großrechnern, können Besucher heute im „Haus zur Geschichte der IBM-Datenverarbeitung“ nachvollziehen, das IBM Pensionäre in der ehemaligen Lochkartendruckerei in Sindelfingen (Bahnhofstraße 43) eingerichtet haben.

Bild: Ehemaliges IBM-Werk im Sindelfinger Wiesengrund. Das Werk wurde später unter dem Namen STP aus der IBM ausgegliedert und im Juli 2003 geschlossen. Das Gebäude wurde von der DailmerChrsyler AG aufgekauft.

Abschied aus Sindelfingen
Im Jahre 1974, - drei Jahre vor dem 50-jährigen Jubiläum des Werks -, wurde die Lochkartendruckerei in Sindelfingen geschlossen. Neue Anlagen für die Halbleiterfertigung wurden im selben Jahr auch auf der Böblinger Hulb in Betrieb genommen.1* 1985 wurde erstmals ein 288-Kilobit-Chip verwendet, der sich im Werk Sindelfingen in der Mengenfertigung befand. Um die durch Unterbrechungen im Fertigungsprozess bedingten Ausfallraten zu reduzieren wurde 1988 in der Chip-Produktion der Werke Sindelfingen und Böblingen eine kontinuierliche 7-Tage-Schicht eingeführt.

Die damaligen Auseinandersetzungen um die sog. „Kontischicht“ sind mittlerweile Geschichte. Geschichte ist seit 2003 allerdings auch die Produktion von Chips und Halbleitern in Sindelfingen. Nach und nach trennte sich „Big Blue“, wie der Global Player IBM aufgrund seiner Firmenfarbe auch genannt wird, von der unrentabel gewordenen Halbleiterproduktion. Ähnlich wie bei HP begann man auch bei IBM, die Produktion weitgehend auszulagern –bzw., wie es auf Neudeutsch heißt, „outzusourcen“ und sich auf Softwareentwicklung und Dienstleistungen wie Finanzierungs- und Strategieplanung zu konzentrieren.

Das Werk Sindelfingen als Tochter-GmbH der IBM hörte auf den Namen Sindelfinger Technologie Produkte (STP) und wurde 1995 an den Rundstrickmaschinenhersteller Mayer & Cie in Albstadt verkauft. Bald darauf geriet das Werk in die Krise. 2002 beantragte die STP Insolvenz, 850 Mitarbeiter verloren Zug um Zug ihre Arbeitsplätze. Das endgültige Aus kam am 31.Juli 2003.

Das bittere Ende von STP beschäftigte damals nicht nur in Sindelfingen die Gemüter. Die Zukunft der gesamten Region, die einst als das „schwäbische Silicon Valley“ gefeiert wurde, schien plötzlich in Frage gestellt.

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Weitere Niederlassungen der IBM-Deutschland entstanden ab 1981 in Herrenberg, wo der Grundstein für ein neues Schulungszentrum gelegt wurde und in Ehningen, wo 1997 eines der weltweit sieben Solution Partnership Center seine Pforten öffnete. Gemeinsam mit externen Software-Entwicklungsfirmen werden hier neue IT-Lösungen entwickelt.

Zum Ende von STP und zur Situation der IT-Branche im Kreis Böblingen erschienen damals umfangreiche Berichte und Kommentare in der Presse. Lesen Sie hier zwei Artikel des derzeitigen Chefredakteurs der Kreiszeitung/Böblinger Bote Otto Kühnle:

Keine frohe Botschaft – Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 19. April 2003
Silikon und graue Zellen - Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 27. 09. 2003

Weitere Informationen zur Geschichte der IBM im Kreis BB finden sie bei zeitreise-bb unter:
IBM-Geschichte Teil 1: Die DEHOMAG und der Beginn der Datenverarbeitung in Sindelfingen
Die IBM im Kreis Böblingen - Teil 3: Der Standort Böblingen – vom Klemmbau zur „Denkfabrik im Grünen"
Der IBMer – ein Nachruf
Karl Ganzhorn

Internet-Links:
IBM
Kleine Chronik der IBM Deutschland
Computer History Online
Meilensteine der IBM-Geschichte
Heinz Nixdorf MuseumsForum Paderborn

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